Chemische Bindungen sind der Ursprung der Struktur und des Verhaltens aller Materie, in der Atome sich untereinander elektrostatisch anziehen. Sie sind für die meisten im Alltag beobachtbaren Phänomene wie etwa die Elastizität eines Gummibandes, den Siedepunkt von Wasser oder das verzaubernde Leuchten eines Glühwürmchens verantwortlich.

Untersuchung einer Probenlösung mittels gepulster Laserstrahlung (violettes Licht) und photochemischer Anregung (grünes Licht). Foto © Patrick Nürnberger

Aus Sicht der Chemie besteht vor allem ein Interesse darin, die Zusammenhänge zwischen der Struktur und dem Verhalten von Stoffen genau zu verstehen und dieses Wissen für die Steuerung chemischer Prozesse auszunutzen. Auf mikroskopischer Ebene bedeutet dies, die Verteilung von Elektronen zwischen Atomen – den Grundbausteinen der Materie – im Verlauf einer Reaktion möglichst präzise zu beeinflussen. 

Genau in diesem Zusammenhang machte ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Julia Rehbein, Prof. Patrick Nürnberger und Prof. Alexander Breder (Universität Regensburg, Fakultät für Chemie und Pharmazie), in Zusammenarbeit mit Forschenden der Universitäten Wien und Leipzig, eine Entdeckung. Diese könne eine große Tragweite haben, so die Forschenden.

Homolyse und Heterolyse

In chemischen Reaktionen werden bestehende Bindungen zwischen Atomen gebrochen und neu verknüpft. Hierbei kann im Wesentlichen zwischen zwei Formen der sogenannten unimolekularen Bindungsspaltung – also nur das einzelne Molekül betreffend – unterschieden werden. Zum einen kann der Bindungsbruch so erfolgen, dass die beteiligten Elektronen hälftig auf die zuvor gebundenen Atome verteilt werden – auch Homolyse genannt. Zum anderen können aber auch alle Bindungselektronen einem einzigen Bindungspartner zugeteilt werden, sodass der andere „leer“ ausgeht – auch Heterolyse genannt. 

Polar und unpolar

Bislang wurden unimolekulare Heterolysen üblicherweise an polaren Bindungen durchgeführt. Hierunter werden Bindungen verstanden, in denen ein Bindungspartner von Haus aus an den Bindungselektronen „stärker zieht“ als der andere. Unpolare Bindungen hingegen durchlaufen lediglich eine homolytische Spaltung. 

Dieser vermeintlich unscheinbare Sachverhalt hat gravierende Folgen, da deshalb für unimolekulare heterolytische Reaktionen – die zum Teil in der großtechnischen Produktion von Hochleistungsmaterialien oder der Darstellung von Medikamenten eine zentrale Rolle spielen – primär polare Ausgangsstoffe genutzt werden. Diese Startmaterialien sind zwar deutlich reaktiver, aber oftmals aufwendiger in der Handhabung und nicht selten mit einer problematischeren Umweltbilanz behaftet.

Neu: Unpolare Bindungen indirekt heterolytisch spalten

Wie nun gezeigt werden konnte, ist es aber auch möglich, unpolare Bindungen indirekt heterolytisch zu spalten. Hierzu werden die Moleküle in einer genau abgestimmten Weise durch Licht und Wärme sequenziell so aktiviert, dass in der Folge ein Paar elektrisch gegensätzlich geladener Teilchen entsteht – ein Prozess, der von den Forschenden als Polung bezeichnet wird. 

Die Ergebnisse der insgesamt dreijährigen Studie wurden im international renommierten Fachmagazin Nature veröffentlicht. „Die Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse ist von transdisziplinärer Tragweite, da sich durch sie völlig neue Möglichkeiten für die Durchführung und Erforschung chemischer Reaktionen ergeben“, so die Einschätzung der Forschenden. Möglicherweise könne künftig auch auf die Nutzung von ökologisch ungünstigen Chemikalien etwa bei der Erzeugung von Industrieprodukten zunehmend verzichtet werden, was zu entscheidenden Vorteilen in Wirtschaft und Technologie führen könnte.

Publikation:

"Unimolecular net heterolysis of symmetric and homopolar σ-bonds", Nature 2024 DOI: 10.1038/s41586-024-07622-7

Kontakt:

Prof. Dr. Alexander Breder 
Institut für Organische Chemie 
Universität Regensburg
Tel: +49 (0) 941 943 4802
E-Mail: alexander.breder@ur.de
 

Carl-Roth-Förderpreis für Erstautorin

Anna Tiefel ist Erstautorin der aktuellen Studie über die neuartige chemische Bindungsspaltung. Sie hat im Labor von Prof. Dr. Alexander Breder am Institut für Organische Chemie an der Universität Regensburg ihre Masterarbeit geschrieben und arbeitet derzeit an ihrer Promotion. 

Im März 2025 erhielt sie den Carl-Roth-Förderpreis für ihre wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der synthetischen Spinchemie, im Speziellen zur ionischen Spaltung unpolarer chemischer Bindungen mittels einer Kombination aus Wärme und Licht. Auf diese Weise können Reaktionen teils deutlich ressourcenschonender und abfallärmer durchgeführt werden. Wir haben bei der Preisträgerin nachgefragt.

Frau Tiefel, was ist das Besondere an der „ionischen Spaltung unpolarer Bindungen“ und welche Rolle spielen Wärme und Licht bei diesem Verfahren? 

Von einer chemischen Bindung wird gesprochen, wenn sich zwei Atome oder Atomverbände Elektronen miteinander teilen, die sog. Bindungselektronen. Die Spaltung einer solchen Bindung folgt strikten physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Konkret bedeutet dies, dass die Art der Spaltung entscheidend von den beiden verbundenen Atomen – genauer gesagt, von den jeweiligen Elementen – abhängt. Wenn diese mit gleicher „Kraft“ an den Bindungselektronen „ziehen“, die Bindungselektronen also gleichmäßig über die Bindung verteilt sind, dann bricht diese Bindung mit hälftiger Aufteilung der Elektronen; jedes Atom erhält also ein Elektron. Bindungen mit dieser gleichmäßigen Elektronenverteilung werden auch als unpolare Bindungen bezeichnet. 

Im Gegensatz dazu werden Bindungen, in denen die Elektronen ungleich verteilt sind, als polare Bindungen bezeichnet. Diese polaren Bindungen spalten in der Regel so auf, dass beide Bindungselektronen dem stärker ziehenden Atom zukommen, wobei das „schwächere“ Atom „leer“ ausgeht. Hierbei entsteht ein Paar elektrisch gegensätzlich geladener Teilchen, das sog. Ionenpaar.

Wie wir nun erstmals zeigen konnten, können auch unpolare Bindungen durch eine genau abgestimmte Kombination aus Wärme und Licht zu Ionenpaaren gespalten werden. Mit diesem orthomodalen (d.h. durch zwei physikalisch unabhängige Faktoren ermöglichten) Verfahren können wir gezielt eines der beiden gebundenen Atome so manipulieren, dass es beginnt, sich wie ein deutlich stärker elektronenziehendes Atom – also nahezu wie ein anderes Element – zu verhalten.

Anna Tiefel, Erstautorin und Promotionsstudentin im Labor von Prof. Dr. Alexander Breder I Foto: privat

Wie unterstützt Ihre Forschung dabei, weniger Abfall zu erzeugen und Ressourcen zu sparen? 

Herkömmliche Verfahren zur ionischen Spaltung von unpolaren Bindungen setzen immer voraus, dass letztere stets mit chemischen Hilfsstoffen zunächst „aktiviert“ – also polarisiert – werden. Diese Hilfsstoffe werden allerdings nach der Reaktion nicht mehr benötigt und fallen somit als Abfallprodukte an. Das von uns entwickelte Verfahren verzichtet auf derlei Hilfsstoffe, da in unserem Fall die Aktivierung vollkommen anders abläuft. 

Die Fähigkeit eines Atoms, Bindungselektronen an sich zu ziehen, hängt nicht nur davon ab, um welches chemische Element es sich spezifisch handelt, sondern auch davon, wie alle weiteren Elektronen in der Umgebung des Atoms verteilt sind – man spricht hier von der Elektronenkonfiguration. Genau hier setzt unser Konzept an. Wir verändern durch Licht die Verteilung der Umgebungselektronen in der Weise, dass eines der zunächst gebundenen Atome im Verlauf der Reaktion viel stärker an den ehemaligen Bindungselektronen zieht, sodass es am Ende beide Bindungselektronen erhält und ein Ionenpaar entsteht.

Wie können Ihre Forschungsergebnisse zukünftig in der Industrie verwendet werden? 

Um ein passendes Bild aufzuwerfen, handelt es sich bei den jetzigen Ergebnissen lediglich um den ersten Schritt in einem Marathon hin zu einer möglichen industriellen Nutzung. Bis vor wenigen Monaten hätte man unsere Idee vermutlich als „sehr weit hergeholt“ eingeschätzt. Allerdings zeichnet sich schon jetzt ein sehr weit-reichendes Nutzungspotenzial unseres Konzeptes ab. Wir vermuten, dass die von uns beschriebene Bindungsspaltung auch auf gänzlich andere Elementkombination als die bisher gezeigten angewendet werden kann. 

Dies gilt es in der kommenden Zeit weiter nachzuweisen. Sollte sich das Verfahren als hinreichend robust, skalierbar und ökonomisch für ein allfälliges technisches Verfahren erweisen, wäre eine industrielle Nutzung nicht ausgeschlossen.

Was sind Ihre nächsten Pläne?

In diesem Jahr möchte ich meine Promotion abschließen. Zurzeit arbeite ich an der konzeptionellen und mechanistischen (d.h. die molekulare Funktionsweise betreffenden) Weiterentwicklung unseres Verfahrens zur orthomodalen Spaltung chemischer Bindungen. Für die Zeit danach ist ein ein- bis zweijähriger Forschungsaufenthalt in den USA als Postdoktorandin geplant.

Carl-Roth-Förderpreis

Wer kann ihn bekommen? junge Forschende
Was wird gefördert? ressourcenschonende Synthesewege und innovative Anwendungen von Chemikalien
Wie sieht die Förderung aus? 5.000 Euro und ein 3.000 Euro Gutschein von Carl Roth GmbH & Co. KG. 2025 wurde der Preis auf zwei Forschende aufgeteilt.
Seit wann gibt es den Preis? seit 2014
Wie oft wird er vergeben? jährlich
Durch wen wird er vergeben? durch die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und gesponsert durch die Carl Roth GmbH & Co. KG

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