Um die Auswirkungen des Klimawandels zu erleben, muss man nirgendwo hinfahren. Sein Einfluss ist real und betrifft uns alle, überall. Und das ist inzwischen auch bei fast allen angekommen. Davon ist Prof. Thomas Jung jedenfalls überzeugt. Der Vizedirektor des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven sprach auf der Abendveranstaltung der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft über die Auswirkungen des Klimawandels. Und darüber, wie diese für uns alle greifbar werden und welche Forschungsansätze dafür hilfreich sind. Thomas Jung ist Sprecher des Forschungsprogramms „Changing Earth - Sustaining our Future“ und berät Entscheidungsträger in der Politik zu Anpassungen an den Klimawandel. Eines seiner zentralen Anliegen ist es, den Klimawandel begreifbar zu machen.

Historische Wurzeln der Klimaforschung

In einem kurzen historischen Überblick verweist er gleich am Anfang seines Vortrags im großen Hörsaal des Audimax auf den schwedischen Physiker und Chemiker Svante Arrhenius, der 1903 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde und bereits damals Kalkulationen anstellte, die zeigten, dass CO₂ das Klima beeinflussen kann. „Seine Berechnungen waren aus heutiger Sicht ziemlich akkurat“, sagt Jung. Bei einer Verdopplung des CO₂ in der Atmosphäre zeigen sie eine globale Erwärmung von 5 bis 6 Grad. Der letzte Report des Weltklimarats IPCC geht heute im Vergleich von 3 bis 4 Grad aus. „Ende des 19. Jahrhunderts mit Mitteln der Mathematik und Physik erstellt, waren das hervorragende Vorhersagen“, so Thomas Jung. Das Wissen sei also schon sehr lange in der Welt.
Fast 100 Jahre später in den 1990er Jahre hätten die Forscher erkannt, dass CO₂ unser Klima mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits beeinflusse und auch, dass die Folgen nicht überall gleich seien, so der Forscher. Maßgeblich verantwortlich für diese Erkenntnisse sind sogenannte Klimamodelle. Prof. Klaus Hasselmann, ehemaliger Leiter des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg bekam dafür 2021 gemeinsam mit Syukuro Manabe den Nobelpreis für Physik.

Die Rolle von Klimamodellen

Und heute hätten die meisten Menschen realisiert, dass sie nirgendwohin mehr fahren müssten, um den Klimawandel mit eigenen Augen zu sehen. Weder in die Arktis oder Antarktis noch in den tropischen Pazifik, wo der Meeresspiegel steigt, ist sich Jung sicher. Eine Umfrage zeige, dass die Mehrheit der Befragten in ihrem eigenen Umfeld den Klimawandel bereits selbst spüre.

Aber wie stark wird sich die Erde in den kommenden Jahrzehnten durch den Klimawandel aufheizen? Wie wird sich dadurch unsere Welt verändern? Welche Vorhersagen sind möglich? Die Werkzeuge der Forschenden, um Zukunftsszenarien zu entwickeln sind eben jene Modelle, die auf den Vorarbeiten von Hasselmann und seinen Kolleginnen und Kollegen basieren: hochkomplexe Computerprogramme, die Wirklichkeit simulieren: die Bewegung von Luftmassen, die Einstrahlung der Sonne oder etwa Meeresströmungen. Leistungsfähige Algorithmen, die physikalische Gesetze und Daten aus der Vergangenheit nutzen, um das gegenwärtige Klima zu beschreiben und zukünftige Veränderungen zu prognostizieren. Doch das Klima ist ausgesprochen komplex und Modellierung auf Supercomputern schwierig. Jedes Klimamodell hat seine eigenen Stärken und Schwächen.
 

Höhere Auflösung und genauere Vorhersagen für die Zukunft

Wie funktionieren sie? Die Modelle überziehen die Erde mit dreidimensionalen Gitterboxen. Für jede Box liegen klimatische Parameter wie Temperatur, Luftdruck, Windgeschwindigkeit und Feuchtigkeit vor. Diese Parameter werden durch komplexe Gleichungen, welche die physikalischen Prozesse der Atmosphäre, Ozeane, Landflächen und Eisgebiete beschreiben, miteinander verknüpft.

Noch vor wenigen Jahren lag die Gittergröße bei rund 100 Kilometern. Das war allerdings viel zu grob, um etwa die wenige Kilometer großen Ozeanwirbel im Golfstrom oder andere wichtige Meeresströmungen, die zu verstärktem Austausch von Wärme und Feuchtigkeit zwischen der Atmosphäre und dem Meer führen, zu beschreiben. Viele Klimamodelle konnten deshalb den Verlauf des Golfstroms nicht naturgetreu nachbilden. Der Golfstrom entspringt im Golf von Mexiko, wandert an der Küste Floridas gen Norden und zweigt dann nach Osten Richtung Europa ab. In vielen Modellen bewegte sich der Strom durch die fehlende Berücksichtigung der kleinen Wirbel aber viel zu weit nach Norden.
Inzwischen sind die Kantenlängen der Würfel kleiner geworden und die Auflösung damit feiner. 

Verschiedene Klimamodelle nutzen aber eine unterschiedliche Auflösung. Bei globalen Klimamodellen hat eine Gitterbox in der Regel immer noch eine Kantenlänge von etwa 100 Kilometern. So kommen für den ganzen Globus Millionen einzelner Gitterboxen zusammen. Hochauflösende Modelle können bis zu einer Milliarde Gitterboxen berechnen. In jedem Würfel werden die physikalischen Bedingungen bestimmt, zum Beispiel die Temperatur, der Luftdruck und die eingestrahlte Sonnenenergie. Mithilfe mathematischer Formeln berechnet das jeweilige Modell für jeden Würfel, wie sich die Werte darin von einem Zeitpunkt zum nächsten verändern, und wie dies benachbarte Boxen beeinflusst. Die anfallende Datenmenge ist dabei riesig: Das Modell muss eine ganze Reihe von physikalischen Werten für jede einzelne Gitterbox berechnen und dies unzählige Male wiederholen, wenn es etwa einen Zeitraum von 50 Jahren in 10-Minuten-Schritten durchläuft. Das Problem ist aber: „Jede Verdopplung der Auflösung bedeutet eine Verzehnfachung des Rechenaufwandes“, so Jung.

Wie präzise können Klimamodelle lokale Auswirkungen vorhersagen?

Wie realistisch sind die Modelle? „Der Informationsgehalt der neuesten Klimamodelle ist enorm“, sagt Jung. Er demonstriert dies anhand eines Vergleichs von Simulationen der Bodentemperatur Europas mithilfe unterschiedlicher Klimamodelle aus den Jahren 2007, 2014, 2021 und heute. Während im Modell von 2007 kaum erkennbar ist, um welche Region es sich handelt, ist das letzte Bild so hoch aufgelöst, dass die Umrisse Europas mit Land und Ozean und sogar Bergen und Tälern klar zu erkennen ist und außerdem, welche Temperaturen in welchen geografischen Bereichen zu erwarten sind. Auch einen Vergleich mit Satelliten-Daten halten aktuelle Klimamodelle aus. Jung zeigte verschiedene Bilder von Ozeanströmungen – die mit ihren Wirbeln als „Ozeanwetter“ beschrieben werden können. Eines der Bilder vom Satelliten aus beobachtet, die beiden anderen berechnet. „Sie zuzuordnen – welches beobachtet, welches simuliert wurde – ist inzwischen kaum mehr möglich“, demonstriert Jung.
 

Der südliche Ozean und seine Bedeutung für den globalen Klimawandel

Wie unterscheiden sich die Ergebnisse der neuen von den alten Klimamodellen? Es ist nicht alles anders, fast Jung zusammen. Wir sehen, dass die Arktis stark betroffen ist, dass sich auf dem Land die Temperaturen stärker verändern als auf dem Wasser. Es gibt aber eine Region, für welche die neuen Berechnungen einen Unterschied machen: der südliche Ozean. Die Erwärmung an der Oberfläche erfolgt dort verzögert. Die Wärme gelangt dafür stärker in tiefere Schichten.

Um die besondere Bedeutung dieser Region deutlich zu machen, holt Jung etwas aus: Grundsätzlich haben die Meere 90 % der Wärme des bisherigen menschengemachten Klimawandels und 30 % des CO₂ aufgenommen. Aber diese Effekte verteilen sich nicht gleichmäßig über die Weltmeere: 40 % dieser Puffereffekte haben im südlichen Ozean stattgefunden. „Deshalb ist es sehr unangenehm, wenn wir in dieser Region nicht wissen, in welche Richtung es geht“, so Jung. Außerdem befindet sich der südliche Ozean in der Nähe der Antarktis. Und die Frage, in welche Richtung sich die Temperaturen dort bewegen, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob die Eisschilde in Zukunft instabil werden und mit welcher Erhöhung der Meeresspiegel entsprechend zu rechnen ist.

Was also lässt sich für die Zukunft sagen? In einem Projekt haben die Forschenden mit hoher Auflösung sehr weit in die Zukunft geschaut und sich die bodennahen Temperaturen in einer 4 Grad wärmeren Welt angeschaut. „Die gewonnenen Feindaten sind essenziell, wenn es darum geht Anpassungsstrategien zu entwickeln“, so Jung. Im afrikanischen Kongo beispielsweise ist die Erwärmung reduziert, weil es Wasser gibt, das verdunsten kann. Im marokkanischen Atlasgebirge würden die Temperaturen durchschnittlich um 10 Grad ansteigen, während es in der naheliegenden Stadt Marrakesch tatsächlich „nur“ 4 Grad wärmer wäre. „Wir können also mit hoher Auflösung sehr aussagekräftige Vorhersagen treffen, fast Jung zusammen. Aber letztlich ist es auch für Experten immer noch schwierig zu sagen, was Klimawandel eigentlich konkret bedeutet.“ Vor allem, wenn man Vorhersagen zu Extremereignisse wie Starkregen, Hitzewellen oder Hurrikans machen möchte: Das aber sind wichtige Informationen, wenn man sich auf ein zukünftiges Klima vorbereiten und daran anpassen will.

Storyline-Methode: Wie das Simulations-Tool hilft, den Klimawandel greifbarer zu machen

Um den Einfluss des Klimawandels greifbarer und konkreter zu machen hat Jung zusammen mit Forschenden des AWI deshalb ein Simulations-Tool entwickelt – die sogenannte „Storyline-Methode“. Jung erklärt die Methode anhand der Hitzewelle im Juni 2019, die damals alle Rekorde brach: Der 25. Juli war mit gemessenen 42,6 Grad Celsius im niedersächsischen Lingen der heißeste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen in Deutschland. Er sei damals mit dem Zug in Köln gestrandet, weil die Klimaanlagen der Züge hitzebedingt ausfielen.
Die spannende Frage an einem solchen Tag ist: Was würden wir messen, wenn bei gleicher Wetterlage weniger CO₂ in der Atmosphäre wäre. „Also wie viel von der aktuellen Temperatur ist durch den Klimawandel bedingt, wie viel davon ist im Prinzip das normale Wetter?“ Oder anders formuliert: Wie hätte dieser Tag in einem vorindustriellen Klima ausgesehen? Und in die Zukunft geschaut: Wie würde derselbe Tag in einer 2, 3 oder 4 Grad wärmeren Welt aussehen?
 

Der Jetstream und seine Rolle in Extremwetterereignissen

Eine wichtige Komponente des Klimas ist der Jetstream – ein sich dynamisch verlagerndes Starkwindfeld in der Höhe von 10 bis 12 Kilometern. Er entsteht als Ausgleichsbewegung zwischen unterschiedlichen Temperaturregionen und zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten. Die auch Strahlstrom genannten Winde sind sehr variabel und strömen oftmals nicht geradlinig von Ost nach West, sondern bewegen sich wellenförmig, mit mehr oder weniger großen Bergen und Tälern nach Norden oder Süden. So kann heiße Saharaluft nach Sibirien gelangen oder eisige Luft vom Nordpol bis nach Nordafrika. Die wellenförmige Bewegung ist auf sogenannte Rossby-Wellen zurückzuführen. Diese bewegen sich langsamer als üblich und sorgen so dafür, dass die entsprechende Wetterlage länger als sonst anhält. Solche Phänomene sind normal. Aber manchmal verändern sich Geschwindigkeit oder Amplituden der Wellen und sie beginnen stärker zu mäandrieren. „Solche Kapriolen des Jetstreams hängen mit einzelnen Extremwetterereignissen zusammen“, sagt Jung. Der Jetstream ist deshalb eine wichtige Komponente für die Vorhersage von Extremwetterereignissen.

Klimaforschung in der Praxis 

Mit dem Storyline-Tool lassen sich für den heißesten Tag im Jahr 2019 Vergleiche aufstellen: Für Köln, rechnet Jung, hätten in einer vorindustriellen Zeit nur 37 Grad geherrscht und die Züge hätten fahren können. In einer 4 Grad wärmeren Welt – das zeigen die Berechnungen würden am selben Tag in Köln 47 Grad herrschen. Gegenüber der vorindustriellen Welt wäre es dann zehn Grad wärmer, sagt Jung. Auf der Karte zeigt er die Unterschiede in verschiedenen Gegenden Deutschlands. Für Regensburg lag die Temperatur an diesem Tag bei 35 Grad. In einer vorindustriellen Atmosphäre wären am selben Tag 33 Grad gemessen worden, in einer 4 Grad wärmeren Welt dagegen 41 Grad. Zu sehen ist dabei auch, dass die Erwärmung im Sommer stärker ausfällt als im Winter. „Trotzdem wird es in einer wärmeren Zukunft an jedem einzelnen Tag wärmer sein, als in einer Welt ohne erhöhte CO₂ Werte“, prognostiziert Jung. Mit diesem Online-Tool kann jeder theoretisch berechnen, wie das Wetter an seinem Wohnort an jedem beliebigen Tag in einer wärmeren Welt aussieht. Allerdings so schränkt der Forscher ein, ist dafür etwas Erfahrung notwendig. https://climate-storylines.awi.de/

Vorhersagen für Extremereignisse

Mit der Storyline-Methode lassen sich auch Extremereignisse wie die Überschwemmungen als Folge des Sturmtiefs Boris im September 2024 in Mitteleuropa betrachten. Das Modell erlaubt auch hier Vergleiche mit der Vergangenheit und der Zukunft. „Lokal sieht man hier Unterschiede von bis zu 100 Litern pro Quadratmeter“, sagt Jung. Mit diesem Tool lässt sich ein Bild davon entwickeln, was der Klimawandel konkret bedeutet, um sich dann entsprechend anpassen zu können, aber gegebenenfalls auch motiviert zu sein, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. „Die Einflüsse werden erheblich sein“, so Jung.

Künstliche Intelligenz als Unterstützung 

Wie lassen sich aber lokale Informationen, zeitnah und für alle zur Verfügung zu stellen, wenn rund 8 Milliarden Menschen betroffen sind und Fragen haben? Antworten liefern im Moment spezialisierte Institute wie das Climate Service Center Germany „GERICS“, die den IPCC-Report und Inhalte aus der Politik zusammenführen. Weil sich die Nachfrage aber in der Zukunft verstärken wird und die Mitarbeitenden nur eine begrenzte Anzahl von Anfragen bearbeiten können, wird zukünftig die künstliche Intelligenz unterstützen. Dafür werden bereits jetzt Large Language Modelle mit Daten von Klimamodellen, zu Landnutzungen, Bodenqualität und Informationen zur lokalen und überregionalen Politik gefüttert. Was dort herauskommt ist erstaunlich, so Jung. So kann man für Bayern zum Beispiel die Frage stellen, wie es mit dem Anbau von Oliven aussieht. „Was man dann sieht, ist, dass bei einer Klimaerwärmung Olivenanbau in Bayern tatsächlich eine Option sein sollte“, so Jung.

Positive Narrative für eine lebenswerte Zukunft

Und was kann am Ende jeder einzelne tun? Menschen etwas zu verbieten, funktioniert meistens nicht so gut, kritisiert Jung. Alleine Schreckensszenarien aufzuzeigen, hält er deshalb nicht für geeignet, um echte Veränderung zu bewirken. Einen ganz wesentlichen Hebel sieht Jung in der Entwicklung positiver Narrative für eine „Netto-Null-Welt“ der Zukunft in der sich die Menschen optimal an den unvermeidlichen Klimawandel angepasst hätten. Attraktive Städte mit viel Grün und viel Lebensqualität für unsere Green Marble – wie sie auf der letzten Folie seines Vortrags von Apollo 17 aus fotografiert, zu sehen ist.

Warming Stripes

Die Warming Stripes die Prof. Ed Hawkins von der Universität Reading in Großbritannien 2018 erstellte, ermöglichen die Veränderungen schnell erfassbar zu machen: Die Reihen vertikaler farbiger Balken der Warming Stripes zeigen die fortschreitende Erhöhung der globalen Durchschnittstemperaturen unseres Planeten in zwei Jahrhunderten in einem einzigen, eindrucksvollen Bild.

Jeder Streifen stellt die Durchschnittstemperatur für ein einzelnes Jahr im Verhältnis zur Durchschnittstemperatur im Zeitraum von 1961 bis 2010 dar. Blautöne stehen für überdurchschnittlich kühle Jahre, während Rottöne für überdurchschnittlich heiße Jahre stehen. Das kräftige Band aus tiefroten Streifen auf der rechten Seite der Grafik zeigt die rasante Erwärmung unseres Planeten in den letzten Jahrzehnten. Die Grafiken zeigen auch, dass kein Winkel der Welt vor den Auswirkungen der globalen Erwärmung gefeit ist. Die Bilder für mehr als 200 Länder, Bundesstaaten und Städte stehen auf der Webseite showyourstripes.info zum kostenlosen Download zur Verfügung. Was man auf diesen Bildern sieht, so Jung, ist, dass heute jedes einzelne Jahr wärmer ist, als jedes einzelne Jahr in der Vergangenheit.
 

Comments

No Comments

Write comment

* These fields are required