Über Gerichtsberichterstattung

Wie über Gerichtsverfahren in den Medien berichtet wird, prägt nicht nur das öffentliche Bild von Recht und Gerechtigkeit, sondern wirft auch wichtige Fragen nach Transparenz, Ethik und gesellschaftlicher Verantwortung auf.
Professorin Dr. Anna K. Bernzen (Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Recht der Digitalisierung) von der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Regensburg forscht unter anderem zur Gerichtsberichterstattung in Deutschland – einem Themenfeld, in dem sich Recht, Medien und gesellschaftliche Werte eng miteinander verbinden.
Ihre Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Herausforderungen und Chancen der Gerichtsberichterstattung.
Interview
Frau Professorin Bernzen, warum ist die Art und Weise, wie über Gerichtsverfahren berichtet wird, für die Gesellschaft von Bedeutung?
Gerichtsverfahren (nicht nur) vor deutschen Gerichten sind im Grundsatz öffentlich. Das ist wichtig, weil es den Bürgerinnen und Bürgern dadurch möglich gemacht wird, sich über die Arbeit der Justiz zu informieren, sie zu kontrollieren und so Vertrauen in die dritte Gewalt zu gewinnen. Allerdings ist die Öffentlichkeit in vielen Prozessen eher Theorie: Die meisten Verhandlungen finden vor leeren Zuschauerbänken statt. In besonders interessanten Gerichtsprozessen gibt es dagegen oft mehr Interessierte als Sitzplätze. So war es damals beispielsweise im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München.
Indem die Medien über ein Gerichtsverfahren berichten, vermitteln sie auch all jenen Bürgerinnen und Bürgern Einblicke in den Prozessverlauf, die nicht persönlich ins Gericht kommen können. Diese Einblicke sind besonders unmittelbar, wenn hierfür Aufnahmen des Prozesses genutzt werden können. Vor allem Filmaufnahmen kommen der persönlichen Teilnahme am Gerichtsverfahren dabei näher als ein geschriebener Artikel, der beispielsweise in der Tageszeitung veröffentlicht wird.
In anderen Ländern, etwa England, sind Kameras und ein direkterer Zugang der Medien zum Gerichtssaal erlaubt. Wie sieht die Berichterstattung über Gerichtsverfahren dort aus?
Auch an englischen Gerichten waren Kameras lange Zeit streng verboten. Das Verbot wurde seit den 2000er Jahren aber schrittweise gelockert. Filmaufnahmen sind heute nicht nur am höchsten Gericht, dem UK Supreme Court, sondern in gewissem Umfang auch am Court of Appeal und an den Crown Courts, die besonders schwere Strafsachen verhandeln, möglich. Kritik hieran gibt es mittlerweile kaum noch, auch nicht in der juristischen Community. Das liegt sicherlich auch daran, dass die Aufnahmen unter strengen Regeln angefertigt werden müssen und beispielsweise nur Richterinnen und Anwälte zu sehen sein dürfen.
Auch für die Nutzung der Bilder und Töne aus dem Gericht gibt es in England genaue Vorgaben. So dürfen Prozessaufnahmen nicht für satirische Zwecke verwendet werden. Man findet die Aufnahmen aber regelmäßig in Nachrichtensendungen und kann die Verhandlungen bestimmter Gerichte sogar auf YouTube anschauen.
Deutschland hat in letzter Zeit mehrere Prozesse von großem öffentlichem und politischem Interesse erlebt, etwa zu Rechtsextremismus oder Gewalt gegen Frauen. Halten Sie die aktuellen Rahmenbedingungen für die Gerichtsberichterstattung in Deutschland für ausreichend, um der Bedeutung und Sensibilität solcher Fälle gerecht zu werden?
Bei der Berichterstattung über Strafprozesse bewegen wir uns in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite hat die Öffentlichkeit ein Interesse daran, zum Beispiel über rechtsextremistische Taten zu erfahren, die vor Gericht verhandelt werden. Auf der anderen Seite muss immer gewährleistet sein, dass die Wahrheits- und die Rechtsfindung im Prozess nicht gestört, die Rechte der angeklagten Person gewahrt und die Persönlichkeitsrechte, nicht zuletzt des Opfers, geschützt werden.
Das ist besonders in den unteren Instanzen wichtig, in denen erst festgestellt werden muss, wie sich eine Tat zugetragen hat. Hier sagen etwa Zeuginnen und Zeugen aus, die sich durch die Aufnahmen womöglich eingeschüchtert fühlen. Deshalb finde ich es richtig, die Kameras und Mikrofone von diesen Verhandlungen auszuschließen, wie es derzeit der Fall ist.
Wann und wo ist Gerichtsberichterstattung in Deutschland erlaubt?
• Vor und nach der Verhandlung: Journalistinnen und Journalisten dürfen außerhalb des Gerichtssaals sowie vor Beginn der Verhandlung, in deren Pausen und nach deren Ende filmen, fotografieren und Interviews führen.
• Während der Verhandlung: Film- und Tonaufnahmen sind im Gerichtssaal während der laufenden Verhandlung verboten. So sollen z. B. die Würde des Gerichts, der Schutz der Persönlichkeitsrechte sowie die Unschuldsvermutung gewahrt bleiben.
• Schriftliche Berichterstattung: Die schriftliche Berichterstattung über das Prozessgeschehen ist erlaubt. Dabei müssen Journalistinnen und Journalisten jedoch Vorgaben zum Persönlichkeitsschutz, zu Geheimhaltungspflichten und eventuelle richterliche Auflagen (z. B. bei Namensnennungen) beachten.
Ich würde mir allerdings wünschen, dass in den höheren Instanzen Filmaufnahmen großzügiger gestattet würden als bisher. Damit meine ich vor allem die Verhandlungen am Bundesgerichtshof (BGH), dem obersten Strafgericht. Hier geht es nur noch um rechtliche Fragen, die Anwältinnen und Richter miteinander diskutieren. Diese Fragen haben oft grundlegende Bedeutung und sind für die Öffentlichkeit daher besonders interessant. Bisher darf allenfalls die Urteilsverkündung am BGH aufgezeichnet werden. Ich meine, Filmaufnahmen sollten während der ganzen Verhandlung erlaubt werden können.
Wie sollte sich Gerichtsberichterstattung in Deutschland aus Ihrer Sicht weiterentwickeln – zum Beispiel im Hinblick auf Medienfreiheit, den Schutz von Persönlichkeitsrechten oder eine gendersensible Berichterstattung?
Ich wünsche mir eine differenziertere gesetzliche Regelung vor allem für Filmaufnahmen aus dem Gericht. In Strafprozessen gibt es gute Gründe, die Kameras und Mikrofone zumindest in den unteren Instanzen außen vor zu lassen, wie wir eben besprochen haben. Aufnahmen von Verhandlungen anderer Gerichte könnten wir aber durchaus großzügiger erlauben.
Wenn am Verwaltungsgericht beispielsweise über ein großes städtisches Bauvorhaben verhandelt wird, haben die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt ein Interesse daran, über den Prozessverlauf informiert zu werden. Rechte der angeklagten Person oder der Opfer müssen hier – anders als im Strafverfahren – nicht gewahrt werden. Es spricht also viel für und wenig gegen Filmaufnahmen dieser Verhandlung.
Gibt es Ansätze aus anderen Ländern, von denen Deutschland lernen sollte?
Bei der Frage, wie wir eine liberalere Aufnahmeregelung konkret umsetzen könnten, können wir uns an unseren europäischen Nachbarn orientieren. Über England haben wir bereits gesprochen. Aber auch in Frankreich dürfen Gerichtsverfahren seit einigen Jahren unter gewissen Umständen gefilmt und für Medienberichte genutzt werden. Wie auch in England gibt es strenge Vorgaben für die Aufnahmen selbst und für ihre spätere Nutzung. Das stellt sicher, dass zum Beispiel der Persönlichkeitsschutz ausreichend berücksichtigt wird. Daran könnten wir uns ein Vorbild nehmen.
© Universität Regensburg | Interview: Tanja Wagensohn
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Zu Professorin Dr. Anna Bernzen
Die Ringvorlesung Kameras im Gerichtssaal im Sommersemester 2025 an der Universität Regensburg widmet sich dem Thema Gerichtsberichterstattung. Am 9. Juli 2025 gibt es Berichte aus der Praxis von Frank Bräutigam, ARD, und Annette Ramelsberger, Süddeutsche Zeitung.
Die Ausstellung „Strafprozesse filmen. Von Nürnberg bis zur chilenischen Diktatur“ ist bis 12. Juli 2025 in der Universitätsbibliothek der Universität Regensburg zu sehen.
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