Tiere vor Gericht?
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Dr. Nina Kerstensteiner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Professor Dr. Alexander Graser (Öffentliches Recht und Politik, insbesondere europäisches und internationales Recht sowie Rechtsvergleichung) beschäftigt sich mit dem gesellschaftlichen Wertewandel im Bereich des Tierschutzes und der Notwendigkeit seiner rechtlichen Abbildung. Für ihre Monographie „Tiere vor Gericht?“ wurde sie in Hamburg mit dem Preis 2024 der Winter-Stiftung für Rechte der Natur sowie mit dem Juratisbona-Preis 2024 des Alumnivereins für Rechtswissenschaft der Universität Regensburg ausgezeichnet. Die Redaktion gratuliert herzlich - und fragte nach.
Interview mit Nina Kerstensteiner
![UR-Rechtswissenschaftlerin Dr. Nina Kerstensteiner](/fileadmin/_processed_/e/d/csm_Nina_Kerstensteiner_1_DSC05928_5201e910e6.jpg)
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere (…)“, so heißt es in Artikel 20a des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Tierschutz ist seit 2002 eine Staatszielbestimmung. Doch Tiere sind nur Objekte staatlichen Schutzes, sie sind keine Rechtssubjekte. Was bedeutet das, Frau Kerstensteiner?
Es ist richtig, dass Tiere in Deutschland nach wie vor als Objekte behandelt werden. Interessen von Tieren können daher mangels entsprechender rechtlicher Instrumente vor Gericht nicht durchgesetzt werden. Das führt dazu, dass vom versprochenen verfassungsrechtlich gewährleisteten Tierschutz nicht viel übrigbleibt. Wir haben zwar ein durchaus nobel klingendes Tierschutzgesetz, in der Realität sieht es aber ganz anders aus. Und niemand kann etwas dagegen tun. Ohne Möglichkeit der Durchsetzung könnte man die Tierschutzgesetzgebung leicht als Scheinmaßnahmen abtun, um unser kollektives Gewissen zu beruhigen.
Haben Sie ein Beispiel?
Sofern beispielsweise in Massentierhaltungsbetrieben die Vorschriften des Tierschutzgesetzes nicht eingehalten werden, müsste hier eigentlich die zuständige Behörde eingreifen. Häufig geschieht das aber nicht. Nicht unbedingt wegen bösen Willens der Behörden, sondern vielmehr aufgrund erheblicher Interessenskonflikte. Die lokalen Behörden profitieren oft finanziell durch Steuereinnahmen aus den Betrieben und verfügen zudem meist nicht über ausreichende personelle Ressourcen. Zudem ist es rechtlich kaum möglich, die Behörde zu verpflichten, Maßnahmen zu ergreifen – auch nicht auf dem Gerichtsweg. Eine Klage ist aufgrund der engen Zugangsvoraussetzungen zu Gericht nicht möglich. Es entsteht die paradoxe Situation, dass Belange der Tierhalter eingeklagt werden können, Belange des Tierschutzes hingegen nicht. So ist lediglich ein „zu viel“ an Tierschutz, nicht jedoch ein „zu wenig“ an Tierschutz gerichtlich überprüfbar.
Sie beschreiben das Vertreten der Rechte von Tieren vor Gericht als eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, umfassende soziale Gerechtigkeit herzustellen. Warum?
Die Forderung nach Rechten für Tiere stellt die etablierten Normen und unser Verständnis vom ethischen Umgang mit Tieren infrage – sie verschiebt die Maßstäbe dessen, was als normal gilt. Die Entwicklung von Recht zeigt, dass es immer inklusiver wird und im Laufe der Geschichte stets weitere Gruppen berücksichtigt hat, die zuvor marginalisiert oder als Objekte behandelt wurden. Die Anerkennung von Rechten für Tiere könnte in dieser Linie der sozialen Evolution als nächster Schritt gesehen werden. Es gab eine Zeit, in der Frauen oder Sklaven kaum Rechte hatten; dies wurde gesellschaftlich und rechtlich erst allmählich und mit großem Widerstand korrigiert. Derzeit erleben wir einen Kulturwandel in Bezug auf Tiere. Diesen Wandel hin zu mehr Empathie und ethischem Bewusstsein gegenüber Tieren muss auch das Recht berücksichtigen. Die Herausforderung besteht darin, den rechtlichen Rahmen zu schaffen, der diesen ethischen Fortschritt auch rechtlich abbildet.
Was bedeuten Ihre Erkenntnisse hinsichtlich eines gesellschaftlichen Wandels in Richtung Nachhaltigkeit?
Die Diskussion um das Thema Nachhaltigkeit gefällt mir oft nicht so recht. Es geht immer so sehr darum, wie wir die Erde retten können – doch meist nur, um letztlich unser eigenes Überleben als Menschen zu sichern. Der Schutz des Planeten wird dabei oft nur als Mittel zum Zweck betrachtet. Wenn ich höre, dass der Amazonas – die Lunge der Welt – stirbt, denke ich gar nicht primär an das Klima. Ich denke an die Millionen von Tieren, die darin leben. Diese Lebewesen sind unserem Handeln schutzlos ausgeliefert, während wir ihren Lebensraum unwiederbringlich zerstören. Wir brauchen ein anderes Verständnis unseres Zusammenlebens mit Tieren und der Natur. Wir Menschen sind nicht getrennt von der Natur, sondern ein Teil von ihr, und sollten dies in unserem Zusammenleben und Handeln viel stärker berücksichtigen.
© Universität Regensburg | Interview: Tanja Wagensohn
Originalpublikation
Nina Kerstensteiner: Tiere vor Gericht? Strukturelles Durchsetzungsdefizit im Tierschutzrecht und die Rolle der strategischen Prozessführung 2024. doi.org/10.1628/978-3-16-163697-4
Links und Kontakt
Zu Dr. Nina Kerstensteiner // https://orcid.org/0009-0008-3510-1684
Juratisbona – Alumniverein für Rechtswissenschaft der Universität Regensburg
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