Sterben für das Leben

Der programmierte Zelltod – ein genetisch gesteuerter Vorgang, bei dem Zellen gezielt absterben, um das Wohl und die Entwicklung des gesamten Organismus zu sichern – ist auch unter dem Begriff Apoptose bekannt. Dieser Prozess spielt bei Pflanzen eine zentrale Rolle – sei es bei der Ausbildung von Leitgeweben, der Bildung von Blüten und Samen oder der Abwehr von Krankheitserregern.
Prof. Dr. Thomas Dresselhaus, Leiter des Lehrstuhls für Zellbiologie und Pflanzenbiochemie an der Universität Regensburg, gibt einen Einblick in die vielfältigen Funktionen, molekularen Mechanismen und praktischen Anwendungen des programmierten Zelltods in Pflanzen. Gemeinsam mit Prof. Dr. Junyi Chen von der Central China Normal University in Wuhan erforscht er, wie gezielt gesteuerte Zellprozesse zur Entwicklung stressresistenter und ertragreicher Pflanzen beitragen können.

Herr Prof. Dresselhaus, welche Rolle spielt der programmierte Zelltod bei Pflanzen?
Der programmierte Zelltod oder Apoptose (englisch programmed cell death, PCD) spielt bei der Entwicklung und Fortpflanzung von Pflanzen eine sehr wichtige Rolle. Grundsätzlich unterscheiden wir bei Pflanzen umweltbedingten Zelltod (environmental PCD; ePCD), der durch externe biotische oder abiotische Stressfaktoren (Umweltstress) ausgelöst wird, und entwicklungsbedingten Zelltod (dPCD). In der Entwicklung werden hierbei nach einem genetisch festgelegten Plan überflüssige Zellen eliminiert, die nicht mehr benötigt werden oder absterben müssen, um neue Strukturen zu bilden, aber auch um bei Umweltstress die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern oder um geschädigte Zellen zu entfernen.
Bei welchen Entwicklungsprozessen spielt der programmierte Zelltod bei Pflanzen eine entscheidende Rolle?
Ohne programmierten Zelltod können viele Pflanzenstrukturen und Organe nicht gebildet werden. In der Wachstumsphase fast aller Landpflanzen müssen beispielsweise Leitgewebe für den Transport von Nährstoffen und Wasser gebildet werden. Hierbei werden Röhrenstrukturen wie Xylem und Phloem durch programmierten Zelltod und Zellfusionen ausgebildet. Einige Pflanzen wie Mangrovenbäume bilden Luftwurzeln um insbesondere Sauerstoff in Pflanzenorgane unter Wasser transportieren zu können. Hierbei wird der programmierte Zelltod im Innern der Wurzeln aktiviert um Hohlräume (Luftkanäle, sogenannte Aerenchyme) zu bilden. Beim Wurzelwachstum aller Pflanzen sterben Zellen an der Spitze (Wurzelhaube) und bilden eine schleimartige Struktur um die innenliegenden Bildungsgewebe und Stammzellen beim Wachstum durch den Boden zu schützen.
Insbesondere in der Fortpflanzungsphase sterben zahlreiche Zellen durch programmierten Zelltod ab: bei vielen Pflanzenarten werden Anlagen für weibliche oder männliche Sexualorgane durch programmierten Zelltod eliminiert um ausschließlich weibliche oder männliche Blüten zu erzeugen. Bei der Pollenentwicklung sterben unter anderem Tapetumzellen ab, um die Oberfläche von Pollenkörnern zu beschichten und anschließend werden stabilisierende Endothecium- und Stomiumzellen eliminiert, um Antheren zu öffnen und Pollenkörner zu entlassen. Teilweise entstehen durch programmierten Zelltod Kanäle für wachsende Pollenschläuche und diese werden wiederum durch absterbende Synergidenzellen zum Platzen gebracht, um Spermazellen zur Befruchtung freizusetzen.
Während der anschließenden Samen- und Fruchtbildung sterben die mütterlichen Ovulengewebe durch programmierten Zelltod und bilden Samenschalen, während innere Zellschichten wie das Endosperm absterben um Platz und Nährstoffe für sich entwickelnde Embryonen beziehungsweise die anschließende Samenkeimung bereitzustellen. Bei der Fruchtreifung sterben gezielt Zellen ab, um Gewebe weich und durchlässiger zu machen, aber auch, um Fruchtfall zu induzieren. Wie beim Blattfall im Herbst werden bereits in der Entwicklungsphase Zellschichten in der sog. Abzissionszone angelegt, die nach Aktivierung des programmierten Zelltods absterben und so zum Fruchtfall führen.
Welche Mechanismen sind an der Steuerung des programmierten Zelltods in Pflanzen beteiligt?
Die Steuerung des programmierten Zelltods bei Pflanzen ist ein aktiver und genetisch gesteuerter Prozess. Er ist sehr komplex und schließt die Aktivität verschiedener Pflanzenhormone, Signal- und Genregulationsprozesse sowie die Bildung verschiedener Enzyme mit ein. Im Zentrum stehen Transkriptionsfaktoren die als Genregulatoren Gene für Enzyme aktivieren, die wiederum den Zelltod auslösen. Nach Aktivierung gibt es nach einer Übergangsphase einen sogenannten “Point-of-no return“, nach dem der Zelltod nicht mehr aufzuhalten ist.
Welche Faktoren (innere und äußere) spielen beim programmierten Zelltod für Pflanzen eine Rolle?
Äußere Faktoren, die den programmierten Zelltod auslösen sind beispielsweise Pathogene, wie Bakterien, Pilze und Viren, die Pflanzen befallen. Diese Infektionen werden in der Regel durch Rezeptoren an der Oberfläche von Pflanzenzellen wahrgenommen, wodurch anschließend Signalprozesse ausgelöst werden, die schließlich zur Aktivierung von sogenannten Zelltod-Genen führen. Ähnlich wird Umweltstress über bestimmte Sensoren wie Temperatur- oder Lichtsensoren (Photorezeptoren) wahrgenommen, was Signalprozesse auslöst. Hierbei spielt die Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) wie Peroxide oder Superoxide eine entscheidende Rolle. Hohe ROS-Mengen induzieren Zelltod.
Bei Entwicklungsprozessen wird programmierter Zelltod häufig durch das Gegenspiel verschiedener Hormone (innere Faktoren) ausgelöst. Wachstumsfördernde Hormone wie Auxine und Cytokinine verhindern Zelltod, während insbesondere die Gegenspieler Ethylen und Abscisinsäure den programmierten Zelltod auslösen können. Beim Blattfall im Herbst werden beispielsweise nach einem festgelegten genetischen Plan keine Auxine mehr produziert die unter anderem für die Unterdrückung der Ethylen-Bildung gesorgt haben. Dadurch wird Ethylen gebildet, welches Gene für Zellwand-abbauende Enzyme, für Proteasen die Proteine und ganze Organelle wie Vakuolen abbauen, und für die ROS-Bildung induziert.
Was passiert bei einer Fehlsteuerung?
Wenn das genetische Programm zur Induzierung und Durchführung von programmierten Zelltod gestört ist, können Pflanzen im Extremfall nicht mehr wachsen und sterben als Keimlinge ab. Während der Reproduktion können unter anderem keine Pollen mehr gebildet und diese auch nicht mehr freigesetzt werden. Die Pflanzen sind steril. Ertragsverluste entstehen, wenn bei Fehlsteuerungen während der Samenentwicklung nur noch unreife Samen gebildet werden. Bei Pathogenbefall können sich beispielsweise Krankheitserreger schneller verbreiten und geschädigte Zellen können als Eintrittspforte für weitere Schadorganismen dienen, wodurch Pflanzen zunehmend geschwächt werden und schließlich absterben.
Wie lässt sich der programmierte Zelltod gezielt untersuchen?
Viele molekulare Mechanismen, die während des programmierten Zelltods bei Pflanzen stattfinden, sind mithilfe von genetischen, biochemischen und zellbiologischen Methoden bereits aufgeklärt worden. Hierbei vergleicht man beispielsweise Gewebe in denen Zellen durch programmierten Zelltod absterben mit solchen in denen keine Zellen sterben. Sehr viel schwieriger ist es die Induktion des Zelltods zu untersuchen. In Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Prof. Chen in Wuhan untersuchen wir unter anderem den programmierten Zelltod von Synergidenzellen. Bei diesen Zellen wird der Zelltod sehr zeitgenau durch erfolgreiche Befruchtung ausgelöst. Bereits wenige Stunden nach Befruchtung wird der Zelltod eingeleitet und ist nach etwa 20 Stunden abgeschlossen. So konnten wir zeigen, dass nach Befruchtung sogenannte RALF12 Peptidgene angeschaltet werden, die wiederum unter anderem die Produktion von ROS und Ethylen anschalten was schließlich zum Zelltod führt (Chen et al., 2025). Umweltstress bei der Bestäubung untersuchen wir, indem Hitze-getresste Pflanzen bestäubt werden und nach genau definierten Zeitpunkten nach Bestäubung oder Hitzestressinduktion können wir anschließend den Verlauf des programmierten Zelltods untersuchen (Gong et al., 2024).
Wie kann das Verständnis des programmierten Zelltods in Pflanzen genutzt und gezielt gesteuert werden?
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten das Wissen über programmierten Zelltod anzuwenden. Zur Ertragssteigerung und Qualitätssicherung kann der frühzeitige Zelltod verhindert werden, wodurch mehr Früchte angesetzt werden und diese nicht vorzeitig auf den Boden fallen. Auch durch Verzögerung der Blattalterung kann der Ertrag erhöht und die Erntephase verlängert werden. Durch kontrollierte Zellopferung kann die Ausbreitung von Pilzen, Bakterien oder Viren begrenzt werden. Durch Änderungen in der Entwicklungs- und Reproduktionsphase können neue und stresstolerante Sorten gezüchtet werden.
Kontakt
Prof. Dr. Thomas Dresselhaus
Lehrstuhl für Zellbiologie und Pflanzenbiochemie
Institut für Pflanzenwissenschaften
Universität Regensburg
Telefon: +49 (0)941 943-3016
E-Mail: thomas.dresselhaus@ur.de

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