Supraleitung, Spintronik & Tunneling

Der diesjährige Nobelpreis für Physik würdigt bahnbrechende Arbeiten zum quantenmechanischen Tunneling – ein Phänomen, von dem man lange davon ausging, dass es nur auf die kleinsten Teilchen beschränkt wäre. Doch die mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Forschungen zeigen eindrucksvoll, dass Quantenmechanik nicht nur im Innersten von Atomen wirkt, sondern auch in größeren, technisch nutzbaren Systemen sichtbar und relevant wird. Besonders deutlich wird dies in der Supraleitung, einem Forschungsfeld, das an der Universität Regensburg intensiv erforscht wird.
Im Interview erklärt Dr. Paradiso, wie supraleitende Materialien Elektronen in einen reibungslosen, kohärenten Zustand versetzen und warum dies nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für die Entwicklung von Quantencomputern und spintronischen Bauelementen von zentraler Bedeutung ist. Er spricht über die Rolle seiner Arbeitsgruppe bei der Entwicklung der sogenannten Josephson-Diode – einem neuartigen Bauelement, das supraleitende Ströme richtungsabhängig steuern kann – und gibt einen Ausblick auf zukünftige Anwendungen, die die Grenzen klassischer Elektronik hinter sich lassen.
Herr Dr. Paradiso, Der diesjährigen Physik-Nobelpreis wurde für das Thema quantenmechanisches Tunneling verliehen. Was hat dieses Thema mit ihrem Forschungsgebiet der Supraleitung zu tun?
Oft heißt es, die Quantenmechanik beschreibe die Physik der mikroskopischen Welt, während für makroskopische Objekte die klassische Mechanik herangezogen werden müsse. Die diesjährigen Nobelpreisträger für Physik haben jedoch schon vor vielen Jahren gezeigt, dass dies nicht immer stimmt.
Hintergrund:
Elektronen sind winzige, negativ geladene Teilchen, die zu den Bausteinen der Materie gehören. Man findet sie in jedem Atom – sie umkreisen den Atomkern, der aus Protonen und Neutronen besteht. In Metallen oder Drähten können sich Elektronen frei bewegen. Das ist das, was wir als elektrischen Strom kennen: Wenn Elektronen fließen, fließt Strom. Normalerweise stoßen Elektronen dabei ständig an andere Teilchen – das verursacht Widerstand und Wärmeverlust. In einem Supraleiter passiert etwas Besonderes: Elektronen bilden in einem Supraleiter einen so genannten makroskopisch kohärenten Zustand. Das heißt sie stoßen nicht mehr aneinander, sondern bewegen sich vollkommen reibungslos – sie gleiten gemeinsam, wie eine einzige große Welle. Das bedeutet, dass hier die Quantenmechanik - nicht nur auf Atomebene, sondern im gesamten Material – also im Großen – makroskopisch erkennbar ist.
Die Preisträger konnten kleine Schaltungen bauen, die ein rein quantenmechanisches Verhalten zeigen – etwa das Tunnelphänomen zwischen verschiedenen Zuständen. Solche Schaltungen sind durch diskrete Energieniveaus gekennzeichnet, die die Qubits |0⟩ und |1⟩, also die Elemente der Quanteninformation, darstellen. Dies hat sich als der erfolgreichste und praktikabelste Weg zur Realisierung von Quantencomputern erwiesen. Die meisten kommerziell verfügbaren Quantencomputer basieren auf solchen supraleitenden Schaltungen.
Mit was genau beschäftigen Sie sich zum Thema Supraleitung an der Universität Regensburg?
Elektronen besitzen einen intrinsischen Spin, der beispielsweise für den Magnetismus in magnetischen Materialien verantwortlich ist. In Supraleitern paaren sich Elektronen zu sogenannten Cooper-Paaren mit entgegengesetztem Spin, sodass das Paar insgesamt keinen Spin besitzt. Das ist bedauerlich im Hinblick auf unser Ziel, Supraleiter in die Welt der Spintronik zu integrieren – wir möchten verlustfreie Ströme ausschließlich über den Spin steuern. In den letzten Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass dies in speziellen Materialien mit sogenannter Spin-Bahn-Wechselwirkung möglich wird. Auf diesem Gebiet hat unsere Gruppe in Regensburg eine Schlüsselrolle gespielt, indem wir erstmals eine neue Art von Bauelement, die sogenannte Josephson-Diode, demonstriert haben. Diese ist gewissermaßen das Analogon einer herkömmlichen Diode, jedoch für rein supraleitende Schaltungen.
Welche Entwicklungen oder Anwendungen in der Supraleitung halten Sie in den nächsten Jahren für besonders spannend?
Die Supraleitung ist ein breites Forschungsfeld mit vielen aktiven Richtungen. Eine besonders spannende Entwicklung, in der ich große Fortschritte erwarte, betrifft die Spinphysik in Supraleitern. Wie bereits erwähnt, bildet sie die Grundlage der kürzlich entdeckten supraleitenden Dioden. In den kommenden Jahren hoffen wir einerseits, die noch offenen fundamentalen Fragen zu klären, und andererseits, erste Prototypen von Bauelementen zu entwickeln, die diesen Effekt nutzen – etwa Logikschaltungen, die vollständig auf Supraleitern und supraleitenden Dioden basieren. Derzeit erforschen wir dieses Thema an der Universität Regensburg in enger Zusammenarbeit mit anderen europäischen Instituten im Rahmen des von der EU geförderten Konsortiums JOGATE.
Sie haben auf einem Workshop zur Supraleitung ein Video gedreht. Welche Rolle haben Sie bei der Erstellung gespielt?
Gemeinsam mit den anderen Organisatoren habe ich die Themen besprochen, die im Video hervorgehoben werden sollen, und ein Drehbuch vorbereitet. Wir Organisatoren kamen zu dem Schluss, dass es sinnvoll wäre, den Gästen Raum zu geben. Aus diesem Grund treten nur zwei Organisatoren (Prof. Ali und Dr. Fermkin) im Video auf.
Links
aktuelles Video: https://www.youtube.com/watch?<wbr>v=2qieThb_fow
Video zum Walter Schottky-Preis 2024: Dr. Nicola Paradiso - Walter Schottky-Preis 2024
Kontakt
PD Dr. Nicola Paradiso
Group of Prof. C. Strunk
Institut für Experimentelle und Angewandte Physik
Universität Regensburg
Tel. +49 941943 1614
Mail. Nicola.Paradiso@physik.uni-regensburg.de
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