Mit Magnetwellen gegen Depressionen

Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) bietet eine vielversprechende Behandlungsoption für Menschen mit therapieresistenter Depression. In einer aktuellen Studie will Dr. Andreas Reißmann herausfinden, welche Gehirnbereiche dabei besonders wichtig sind – und ob eine einwöchige Intensivbehandlung die bisher übliche mehrwöchige Therapie ersetzen kann.
Die rTMS – also die wiederholte Stimulation des Gehirns mit Magnetfeldern – gilt als effektives, nichtinvasives Verfahren zur Behandlung von Depressionen. In den USA ist sie seit 2008 bei therapieresistenten Depressionen anerkannt. Auch in Deutschland wird sie seit 2022 in den Behandlungsleitlinien empfohlen, insbesondere für Patienten und Patientinnen, die auf andere Therapien nicht ausreichend ansprechen.
Dabei wird auf der Kopfoberfläche ein Magnetfeld erzeugt, das durch die Schädeldecke hindurch 1–3 Zentimeter tief ins Gehirn wirkt und dort die Aktivität von Nervenzellen beeinflusst. Am Zentrum für Neuromodulation der Universität Regensburg am medbo Bezirksklinikum wird das Verfahren seit mehr als 20 Jahren erfolgreich eingesetzt.

Eine aktuelle, von der DFG geförderte klinische Studie (COIL-/STOP-D-Studie) untersucht nun, ob eine einwöchige, intensivierte TMS-Behandlung bei therapieresistenter Depression den gleichen positiven Effekt erzielen kann wie klassische, längere Protokolle. Außerdem möchten die Forschenden herausfinden, welche Gehirnbereiche besonders eng mit dem Therapieerfolg verknüpft sind.
Wir haben beim für die Studie mitverantwortlichen Leiter des TMS-Labors, Dr. Andreas Reißmann, nachgefragt. Als klinischer Psychologe ist er seit 2023 Teil des Teams am Zentrum für Neuromodulation in Regensburg. In seiner Leitungsposition ist er sowohl für die Konzeption und Durchführung klinischer und grundlagenwissenschaftlicher Studien als auch für die regulären rTMS-Behandlungen mitverantwortlich.

Herr Dr. Reißmann, welche Studien gibt es zur TMS?
Seit den 1990er Jahren wird rTMS zur Behandlung von Depressionen erforscht – mit durchweg sehr guten Wirknachweisen, insbesondere bei Stimulation über dem linken Frontalhirn. Es liegen zahlreiche hochwertige Studien vor, darunter randomisierte, placebokontrollierte Untersuchungen und Metaanalysen. Sie zeigen: rTMS kann Betroffenen mit therapieresistenter Depression messbar helfen.
Deshalb wurde das Verfahren 2022 in die deutschen Behandlungsleitlinien aufgenommen – empfohlen nach zwei erfolglosen medikamentösen Therapieversuchen und/oder unzureichender Wirksamkeit einer Psychotherapie. Die Methode ist gut verträglich und sicher. Nebenwirkungen sind in der Regel mild und auf die Stimulationszeit beschränkt – am häufigsten treten vorübergehende Kopfschmerzen oder ein Druckgefühl an der Stimulationsstelle auf. Manche Patienten und Patientinnen berichten zudem über eine gewisse Müdigkeit im Anschluss an die Sitzungen.
Was genau untersuchen Sie in ihrer Studie?
Ein Schwerpunkt liegt auf der Frage, ob die TMS-Behandlung durch ein kompaktes Intensivprotokoll beschleunigt werden kann. Aktuell dauert eine Standardbehandlung vier bis sechs Wochen. In den USA wurden 2020 jedoch vielversprechende Ergebnisse mit einwöchigen Intensivbehandlungen veröffentlicht – das haben wir aufgegriffen.
Gleichzeitig interessieren uns die neurobiologischen Effekte der TMS. Was verändert sich im Gehirn durch die Behandlung – und welche Veränderungen stehen mit einer Verbesserung der Symptome in Zusammenhang? Denn hier gibt es noch viel Forschungsbedarf.

Wie lassen sich die Verbesserungen messen?
Der Schweregrad einer Depression wird in unserer Studie anhand standardisierter Fragebögen sowie klinischer Beurteilungen durch Psychologinnen und Ärztinnen erfasst – jeweils vor Beginn der Behandlung, direkt nach der TMS-Woche sowie vier Wochen später. Viele Patientinnen und Patienten, die von der TMS profitieren, berichten über eine Verbesserung der Kernsymptome wie Stimmung, Antrieb und Interesse – aber auch von häufigen Begleiterscheinungen wie Schlafproblemen oder Konzentrationsschwierigkeiten.
Welche Veränderungen des Gehirns erwarten Sie?
Die TMS stimuliert in jeder Sitzung gezielt Nervenzellen im sogenannten dorsolateralen präfrontalen Kortex (dlPFC) – einem Areal im linken vorderen Frontalhirn, das bei Depressionen häufig unteraktiv ist. Durch die wiederholte Stimulation sollen synaptische Verbindungen zwischen Nervenzellen gestärkt und deren Aktivität erhöht werden.
Ein neurowissenschaftlicher Ansatz geht davon aus, dass eine besonders wirksame TMS die Nervenzellgruppen aktivieren sollte, die funktionell mit tieferen Hirnregionen wie dem subgenualen anterioren cingulären Kortex (sgACC) vernetzt sind – also mit jenen Bereichen, die unter anderem mit dem autonomen Nervensystem in Verbindung stehen. Wir untersuchen daher, welche Netzwerke durch die Behandlung gezielt beeinflusst werden und wie sich diese Veränderungen mit dem klinischen Behandlungserfolg in Verbindung bringen lassen.
Unser langfristiges Ziel: die Entwicklung personalisierter TMS-Therapien. Vielleicht lässt sich künftig schon vor Behandlungsbeginn bestimmen, wo genau die Magnetstimulation bei einer bestimmten Person am wirksamsten eingesetzt werden sollte.
Woher wissen Sie, welche Nervenzellen Sie aktivieren?
Die Behandlung erfolgt standardmäßig anhand der sogenannten Beam-F3-Methode, bei der die Position der TMS-Spule über individuelle Schädelmaße ermittelt wird. Zusätzlich setzen wir eine Neuronavigation ein. Dabei werden die strukturellen MRT-Bilder der Patientinnen und Patienten in Echtzeit mit der Position der TMS-Spule auf dem Kopf abgeglichen. So lässt sich exakt feststellen, welcher Teil des präfrontalen Kortex tatsächlich stimuliert wird.
Die erzeugten Magnetfelder sind etwa so groß wie ein Tischtennisball und wirken auf eine eng begrenzte Nervenzellpopulation. Da sich relevante Hirnareale individuell in ihrer Lage unterscheiden – bei manchen liegen sie etwas weiter vorne oder hinten – hilft uns die Neuronavigation, die tatsächliche Abweichung vom theoretisch optimalen Zielpunkt zu bestimmen. In unserer Studie prüfen wir, ob diese Abweichung mit dem Therapieerfolg zusammenhängt. Langfristig möchten wir so die TMS zielgenauer und noch wirksamer machen.

Wie sieht die Studie praktisch aus?
Teilnehmende erhalten über fünf Werktage hinweg täglich fünf TMS-Sitzungen im Stundentakt – insgesamt also 25 Behandlungen in einer Woche. Die Studie läuft noch bis Ende des Jahres. Eine Teilnahme ist weiterhin möglich und ausdrücklich erwünscht. Interessierte können sich direkt an mich oder an unser Sekretariat wenden.
Wer eignet sich für eine Teilnahme?
Gesucht werden Erwachsene mit einer diagnostizierten Depression, bei denen eine medikamentöse Therapie in der aktuellen Episode bislang nicht erfolgreich war. Voraussetzung ist, dass noch keine TMS-Behandlung erfolgt ist. Ausgeschlossen sind Personen mit Epilepsie, Metallimplantaten im Kopf oder anderen hirnorganischen Vorerkrankungen. Zahnfüllungen oder -implantate sind hingegen kein Problem.
Kurzinfo: Neuronavigation
Die Neuronavigation ist ein computergestütztes Verfahren zur exakten Steuerung der transkraniellen Magnetstimulation. Aus MRT- oder CT-Daten wird ein hochauflösendes 3D-Modell des Gehirns berechnet, das während der Behandlung mithilfe einer Infrarotkamera in Echtzeit mit der tatsächlichen Position von Kopf und Spule abgeglichen wird. So kann die TMS punktgenau dort wirken, wo sie im Einzelfall am meisten Nutzen verspricht.
Kontakt
Andreas Reissmann, PhD, Dipl.-Psych.
Center for Neuromodulation and Psychiatric Outpatient Clinic
Clinic and Polyclinic for Psychiatry and Psychotherapy of the University of Regensburg at the Bezirksklinikum
Phone: +49-941-941-2404
Email: andreas.reissmann@medbo.de
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