Langzeitfolgen von COVID-19 bei Jugendlichen

Die Corona-Infektionen haben nicht nur akute gesundheitliche Herausforderungen mit sich gebracht, sondern auch langfristige Folgen – insbesondere für Kinder und Jugendliche. Während körperliche Symptome der COVID-19-Infektion mittlerweile gut erforscht sind, stehen die psychischen, psychosomatischen und neurokognitiven Auswirkungen bei jungen Menschen weiterhin im Fokus aktueller Studien. Eine interdisziplinäre Herangehensweise ist dabei entscheidend, um die komplexen Zusammenhänge zwischen somatischen und psychischen Symptomen zu verstehen und eine gezielte Versorgung sicherzustellen.
PD Dr. Stephanie Kandsperger, Leitende Oberärztin und Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, engagiert sich seit Beginn der Pandemie intensiv für die Erforschung der Langzeitfolgen von COVID-19 bei jungen Patientinnen und Patienten. In groß angelegten Projekten wie „Post COVID Kids Bavaria“ untersucht sie gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachdisziplinen, welche Auswirkungen eine SARS-CoV-2-Infektion langfristig haben kann – und wie Betroffene bestmöglich unterstützt werden können. Erst kürzlich hat sie eine Studie zum Thema veröffentlich.
Im Interview spricht Dr. Kandsperger über ihre Motivation, erste zentrale Erkenntnisse, notwendige therapeutische Maßnahmen und den dringenden Forschungsbedarf in diesem sensiblen Bereich.

Frau Dr. Kandsperger, was war Ihre Motivation, sich speziell mit den langfristigen Auswirkungen von COVID-19 bei Jugendlichen zu beschäftigen?
Mir war es besonders wichtig, die langfristigen Auswirkungen von COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen zu untersuchen, weil bei dieser Altersgruppe möglicherweise andere Folgen auftreten können als bei Erwachsenen. Die interdisziplinäre Herangehensweise halte ich dabei für sehr sinnvoll, weil COVID-19 nicht nur die körperliche Gesundheit betrifft, sondern auch psychische und psychosomatische Aspekte.
Durch die Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche wie Kinderpneumologie, Kinderkardiologie, Neuropädiatrie, ggf. Kindergastroenterologie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie können wir ein umfassenderes Bild der möglichen Langzeitfolgen gewinnen. Das ermöglicht eine frühzeitige Erkennung und gezielte Behandlung. Bereits in den Jahren 2020 und 2021 haben wir diesen Ansatz verfolgt, zum Beispiel mit der Studie „Follow CoKiBa: Follow-up von Coronavirusinfektionen bei Kindern in Bayern zur Erkennung und frühzeitigen Behandlung von Pädiatrischem Multiorgan Immunsyndrom (PIMS)“).
Das Modellprojekt „Post COVID Kids Bavaria Netzwerk“ war eine Multicenter-Studie, an der 18 Kliniken in Bayern sowie in Hannover und Jena beteiligt waren. Es wurde von der Klinik St. Hedwig in Regensburg unter Koordination von Prof. Dr. Kabesch in Zusammenarbeit mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und Psychosomatik der Universität Regensburg unter Leitung von Prof. Dr. Romuald Brunner initiiert. Ziel war es, mögliche somatische und psychiatrische Folgeschäden von COVID-19 frühzeitig zu erkennen und so die Versorgung der jungen Patientinnen und Patienten zu verbessern.
Welche Symptome sind bei den betroffenen Jugendlichen besonders häufig?
Bei der kinder- und jugendpsychiatrischen Untersuchung haben wir festgestellt, dass über 80 % der Teilnehmer nach einer COVID-19-Infektion eine erhöhte Erschöpfung zeigten. Außerdem litten 73 % unter starker Müdigkeit, und 72 % berichteten von einer Verschlechterung ihrer Konzentrationsfähigkeit. Zudem gaben 53 % an, dass sich ihre Stimmung verschlechtert hatte, und 32 % erlebten eine Zunahme von Alltagsängsten.
Insgesamt erhielten 57 % der Studien-Probanden eine gesicherte Post-COVID-Diagnose aus dem kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich. Dabei haben wir zwei häufige Symptomgruppen identifiziert: Die häufigste Diagnose war die Anpassungsstörung im Zusammenhang mit Post-COVID, die bei 39 % der Fälle gestellt wurde und oft mit emotionalen Auffälligkeiten einherging. Zudem zeigte sich bei einem hohen Anteil der Kinder und Jugendlichen eine Störung der Aufmerksamkeit ohne Hyperaktivität, die bei 24 % auftrat. Diese Betroffenen hatten deutliche Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, die sich vor allem im schulischen und beruflichen Kontext negativ auswirkten.
Bei einzelnen Patienten, die auch an Myalgischer Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS) litten, waren die Einschränkungen so gravierend, dass sie nur noch mit Unterstützung mobil sein konnten. In manchen Fällen war es kaum noch möglich, den Schulbesuch oder die Berufsausbildung fortzusetzen. Solche Situationen führen zu großem Leidensdruck und oft auch zu Hilflosigkeit bei den Betroffenen und ihren Eltern. In schwereren Fällen waren manchmal rehabilitative Maßnahmen notwendig. Nach einer kinder- und jugendpsychiatrischen Diagnostik erfolgt teils eine psychotherapeutische Begleitung, die sich vor allem auf den Umgang mit Leistungseinschränkungen und depressiven Symptomen konzentriert. Das Ziel ist stets, den jungen Menschen bestmöglich zu helfen, ihre Lebensqualität wieder zu verbessern und ihnen den Umgang mit den Folgen der Erkrankung zu erleichtern.
Ihre Studie zeigt, dass somatische und psychiatrische Diagnosen eng miteinander verknüpft sind. Wie lässt sich diese Wechselwirkung erklären?
Der statistisch signifikante Zusammenhang zwischen somatischen, insbesondere neuropädiatrischen, sowie kinder- und jugendpsychiatrischen Post-COVID-Diagnosen deutet darauf hin, dass diese beiden Symptomgruppen miteinander verbunden sind. Das unterstreicht die Wichtigkeit, in der Diagnostik und Behandlung auf eine multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen pädiatrischen Teams und Kinder- und Jugendpsychiatern zu setzen. Auch die diskutierten Pathomechanismen legen nahe, dass mehrere Organsysteme, einschließlich des Gehirns, betroffen sein könnten.
Mögliche Ursachen sind beispielsweise Mikrozirkulationsstörungen oder direkte Gewebeschädigungen. Das zeigt, wie komplex die Auswirkungen von COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen sein können und warum eine ganzheitliche Herangehensweise so wichtig ist.
Ein auffälliger Befund ist das erhöhte Risiko für Anpassungsstörungen bei Jugendlichen mit Allergien. Haben Sie eine Hypothese, warum dieser Zusammenhang besteht?
Ja, die aktuelle Studienlage deutet darauf hin, dass Allergien allgemein ein Risikofaktor für die Entwicklung eines Post-Covid-Syndroms sein könnten. Eine andere Forschungsgruppe hat zudem einen möglichen Pathomechanismus diskutiert, bei dem Veränderungen im immunologischen Profil eine Rolle spielen – Veränderungen, die auch bei Allergien beobachtet werden. Allerdings ist noch unklar, ob die emotionalen Auffälligkeiten primäre oder sekundäre Folge der Covid 19-Infektion sind.
Diese Frage bedarf weiterer Forschung, um die genauen Zusammenhänge besser zu verstehen.
Welche konkreten therapeutischen Empfehlungen lassen sich aus Ihren Ergebnissen ableiten – und was braucht es für eine optimale Versorgung betroffener Jugendlicher?
Unsere Untersuchung zeigt, dass nach einer Covid-19-Infektion bei Jugendlichen durchaus emotionale und neurokognitive Symptome auftreten können. Daher ist es besonders wichtig, dass betroffene Kinder und Jugendliche schnell Zugang zu somatischer Unterstützung erhalten. Darüber hinaus ist eine zügige kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik und Behandlung essenziell – idealerweise in enger Zusammenarbeit mit pädiatrischen Kollegen.
Die Post-Covid-Symptomatik sollte als Krankheitsbild betrachtet werden, das sowohl somatische als auch psychische Folgen haben kann und einen spezifischen Behandlungsbedarf aufweist. Um die Versorgung zu verbessern, ist die Vernetzung der verschiedenen Fachbereiche von entscheidender Bedeutung. Deshalb haben wir uns einem vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Projekt (PEDNET) unter der Leitung von Prof. Dr. Uta Behrends an der TU München angeschlossen, um die Zusammenarbeit deutschlandweit weiter zu stärken und die Versorgung zu optimieren.
Was sollten Eltern, Lehrkräfte und Ärzt:innen über Post-COVID bei Jugendlichen unbedingt wissen?
Es ist sehr wichtig zu wissen, dass Post-COVID eine ernstzunehmende Erkrankung ist. Besonders bei dieser Symptomatik kommt es auf eine enge Abstimmung zwischen allen Beteiligten an – also Familie, Schule und den behandelnden Ärzten. Dabei sollte man auch offen für unkonventionelle Lösungen sein, um die Schulteilhabe der Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu unterstützen. Eine gute Zusammenarbeit und Flexibilität sind also entscheidend, um den Betroffenen bestmöglich zu helfen.
Was müsste aus ihrer Sicht als nächstes untersucht werden?
Derzeit liegt der Fokus der Post-COVID-Forschung weiterhin auf den somatischen Folgen, vor allem bei Erwachsenen. Es wurde jedoch mittlerweile bestätigt, dass bei Kindern und Jugendlichen ebenfalls viele emotionale und neurokognitive Symptome im Zusammenhang mit dem Post-COVID-Syndrom auftreten. Daher besteht aus meiner Sicht ein dringender und umfassender Forschungsbedarf, um die möglichen Risikofaktoren, die zugrunde liegenden Pathomechanismen und Behandlungsmöglichkeiten besser zu verstehen. Außerdem sollten die langfristigen Symptome bei Kindern und Jugendlichen noch genauer untersucht werden, um ihnen gezielt helfen zu können.

Auszeichnung der Stadt Regensburg
Für ihre Habilitationsschrift „Psychiatrische Notfallversorgung bei Kindern und Jugendlichen: Ergebnisse aus der klinischen Versorgungsforschung“ wurde Stephanie Kandsperger jetzt mit dem Regensburger Preis für Frauen in Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet. Die undotierte Auszeichnung würdigt ihren herausragenden Beitrag zur Verbesserung der psychiatrischen Akutversorgung junger Patientinnen und Patienten – ein Thema mit hoher Relevanz, gerade auch im Kontext der psychischen Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion.
Die Jury lobte ihre „fachliche Tiefe, gesellschaftliche Relevanz und ihr persönliches Engagement“. Besonders gewürdigt wurde auch ihr Einsatz für Kinder und Jugendliche in Krisen- und Notfallsituationen sowie ihr Beitrag zur Bewältigung der psychischen Folgen der Corona-Pandemie. Damit ist sie ein Vorbild für junge Forschende – nicht nur in den MINT-Fächern.
Mit dem Preis fördert die Stadt Regensburg alle zwei Jahre exzellente Forscherinnen und Künstlerinnen der dreien Regensburger Hochschulen und will sie gezielt auf dem Weg zur Professur unterstützen.

Kontakt
PD Dr. med. Stephanie Kandsperger
Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie
Leitende Oberärztin
Zentrum Regensburg
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der
Universität Regensburg am
Bezirksklinikum Regensburg
Fon +49 (0) 941 / 941-4300
Fax +49 (0) 941 / 941-4005
Mail Stephanie.Kandsperger@medbo.de
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