Mit der Zunahme chronischer Erkrankungen wachsen auch die Einsatzmöglichkeiten für aktive implantierbare Geräte kurz AIMDs (Active Implantable Medical Device, kurz: AIMD) mit denen fehlende oder defekte Körperteile ersetzt, Medikamente verabreicht, Körperfunktionen überwacht oder Organe und Gewebe unterstützt werden können. Bekannteste Beispiele für AIMDs sind technische Geräte wie Herzschrittmacher oder implantierbare Defibrillatoren. Sie werden durch einen medizinischen oder chirurgischen Eingriff in den Körper eines Patienten implantiert, um dort vor Ort für unbestimmte Zeit ihre Dienste zu verrichten. Solche Geräte arbeiten autonom und müssen Daten nach außen übertragen. Die eingeschränkte Möglichkeit, ihre Funktion zu steuern und zu überwachen stellt ein wesentliches Hemmnis für neue Entwicklungen dar. Dies liegt vor allem daran, dass AIMDs innerhalb des Körpers, auf klassischen Übertragungswegen wie etwa mittels elektromagnetischer Wellen, nur eingeschränkt les- und steuerbar sind.

Dr. Härteis und Dr. Aung ©Julia Drahan

Förderprogramm Horizont Europa

Die Europäische Union finanziert ein Projekt für die Entwicklung eines neuen Konzepts der Informationsübertragung für aktive implantierte medizinische Geräte im Rahmen ihres Förderprogramms Horizont Europa. Für das Projekt ERMES stellt die Europäische Union im Rahmen des hoch kompetitiven Förderprogramms Horizont – EIC (European Innovation Council) 2024 Pathfinder Open – über einen Förderraum von 36 Monaten mehr als 3,7 Millionen Euro zur Verfügung. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines neuen Konzepts der Informationsübertragung für AIMDs. Aus Bayern beteiligt sind die Universität Regensburg (Prof. Dr. Härteis), die TH Deggendorf (Prof. Dr. Aung) und die FAU Erlangen-Nürnberg (Dr. M. Schäfer). „Ihnen wurden mehr als ein Drittel der Fördersumme bewilligt. Ein grandioser Erfolg. Von 1119 eingereichten Anträgen wurden in diesem Jahr nur 40 bewilligt“, sagt Prof. Silke Härteis, die das Regensburger Teilprojekt leitet. Weitere Partner des Verbundprojekts sitzen in Finnland und Frankreich. Die Federführung hat die Università di Catania in Italien. Neben den Universitäten sind auch vier Firmen beteiligt.

Neuartige Kommunikationskonzepte

Um eine effiziente Kommunikation mit AIMDs zu gewährleisten, müssen neuartige Wege der Informationsübertragung zwischen den Geräten sowohl innerhalb als auch außerhalb des Körpers entwickelt und etabliert werden. In ihrem Projekt ERMES (INFORMATION TRANSFER BETWEEN MEDICAL DOCTORS AND IMPLANTED MEDICAL DEVICES VIA SYNTHETIC MOLECULAR COMMUNICATION) wollen die Projektpartner diese Lücke schließen. Ihr Ziel ist es, neuartige Kommunikations- und Sensor-Konzepte für AIMDs zu entwickeln. Sie bauen dabei auf drei Säulen:
1. das chemische Design und die Synthese geeigneter Botenstoffe
2. die Entwicklung geeigneter Systeme, um die Botenstoffe über das Blutkreislaufsystem in den Körper einzubringen
3. die Entwicklung von Nachweisstrategien für die entsprechenden Botenstoffe im Blutkreislauf.

Hühnereier ersetzen klassische Tierversuche

Prof. Silke Härteis vom Institut für Molekulare und Zelluläre Anatomie der Fakultät für Biologie und Vorklinik an der Universität Regensburg nutzt dafür das sogenannte Chorion-Allantois-Membran (CAM)-Modell. Beim CAM-Modell ersetzt die Aderhaut von befruchteten Hühnereiern – auch Chorion-Allantois-Membran genannt – klassische Tierversuche. Es ist zudem kosteneffizient und zeitsparend. Die Forscherin hat bereits Erfahrungen mit dem Modell. Sie ist mit einem Teilprojekt am Transregio 374 „Tubulussystem und Interstitium der Niere: (Patho-) Physiologie und Crosstalk“ beteiligt. Das Verbundprojekt zwischen der Universität Regensburg und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat das Ziel, Einblicke in die Entstehung verschiedener Nierenerkrankungen zu bekommen. Mit dem CAM-Modell untersucht sie das Wachstum einer besonderen, schweren Form erblicher Nierenzysten und prüft vielversprechende Medikamente auf ihre Wirksamkeit.

Beim CAM-Modell ersetzt die Aderhaut von befruchteten Hühnereiern – auch Chorion-Allantois-Membran genannt – klassische Tierversuche. © Julia Dragan

Molekulare Kommunikation

Für das Projekt im Rahmen des Horizont-Förderprogramms setzt Prof. Härteis auf dasselbe Modell, nur mit einem völlig anderen Ziel. Nämlich neuartige Informationssysteme für AIMDs zu entwickeln, bei denen Moleküle – also chemische Verbindungen – für die Kommunikation zwischen AIMDs innerhalb des Körpers eingesetzt werden. Dieses noch relative neue Konzept der Informationsübertragung wird „molekulare Kommunikation“ genannt. „Die molekulare Kommunikation basiert auf Prinzipien aus der Natur und kodiert Informationen in dem sie unterschiedliche Konzentrationen oder Eigenschaften von Molekülen nutzt“, so Prof. Härteis.
Für die Kommunikation zwischen AIMDs und externen Geräten außerhalb des Körpers sind sogenannte Gateways erforderlich, die es ermöglichen, ein Signal aus dem Körperinneren wie etwa eine bestimmte Molekülkonzentration (MK) in ein makroskopisches Signal wie etwa Licht oder elektromagnetische Wellen umzusetzen. Diese Signale werden dann von externen Geräten empfangen und verarbeitet.

Interdisziplinäres Team von Forschenden

Da die Anwendungen solcher neuartigen Konzepte vor allem in der Gesundheitsüberwachung und Behandlung von Krankheiten liegen, ist es wichtig, die Abhörsicherheit der Kommunikation zwischen AIMDs und mit externen Geräten zu gewährleisten. Daher beschäftigen sich die Forschenden auch mit der Entwicklung von neuartigen Konzepten zur abhörsicheren Kommunikation zwischen AIMDs mittels MK und mit externen Geräten.
„Die Stärke des Horizont-Projekts liegt unter anderem in seiner Interdisziplinarität. So besteht das Konsortium aus Experten im Bereich Chemie, Mikrofluidik, Kommunikationstechnik, Ethik, Biologie und Medizin“, sagt Prof. Härteis. Die Forschung erfolgt in mehreren Stufen und beinhaltet die theoretische Entwicklung neuartiger Konzepte und Simulationsmethoden zur Kommunikation zwischen AIMDs sowie deren mehrstufige experimentelle Realisierung und Verbesserung.

Über das Förderprogramm Horizont EIC Pathfinder Open

Horizont Europa ist das Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation für 2021 bis 2027. Ziel ist eine wissens- und innovationsgestützte Gesellschaft und wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen und zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen (https://www.horizont-europa.de/de/Programm-1710.html). Mit dem Pathfinder-Programm des Europäischen Innovationsrats (European Innovation Council EIC) sollen radikal innovative Technologien identifiziert werden, die das Potenzial haben, ganz neue Märkte zu schaffen. Dazu werden visionäre und risikoreiche Projekte in einem frühen Entwicklungsstadium gefördert, bei denen über die Grundlagenforschung hinaus eine klare technologische Entwicklungsmöglichkeit besteht. Bei den Antragstellern, die an einem EIC-Pathfinder-Projekt teilnehmen, handelt es sich in der Regel um visionäre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und unternehmerisch denkende Forschende aus Universitäten, Forschungseinrichtungen, Start-ups, Hightech-KMU oder um industrielle Akteure, die an technologischer Forschung und Innovation interessiert sind (https://eic.ec.europa.eu/eic-funding-opportunities/eic-pathfinder_en). Das „EIC Pathfinder Open“ ermöglicht eine themenoffene Beteiligung.
 

Mitteilung auf der UR-Seite: 

Mitteilungen der Universität Regensburg - Universität Regensburg


 

Wir wollten es genauer wissen und haben nachgefragt.

Frau Prof. Dr. Silke Härteis, welche Anwendungen sind mit AIMDs denkbar?

AIMDs in unterschiedlichen Größen und Formen werden bereits in verschiedenen klinischen Kontexten eingesetzt, z.B. als implantierte Herzgeräte, die für die Behandlung des Herzens durch eine koordinierte Stimulation des Herzmuskels oder eine Defibrillation im Falle einer Arrhythmie entwickelt wurden. Neurostimulatoren, die elektrische Signale mit geringer Amplitude über eine oder mehrere Elektroden übertragen, die an verschiedenen Stellen im Gehirn verteilt und in bestimmten Bereichen implantiert sind. „Drug Delivery Systeme“ werden mit einer Pumpe und einem Katheter unter die Haut implantiert. Dies ähnelt einer kontrollierten Zufuhr von Medikamenten direkt in den Zielbereich, was eine Dosisreduzierung im Vergleich zu oralen Medikamenten ermöglicht. Implantierte Biosensoren können jeden Teil dieses Prozesses überwachen und bestimmte Parameter messen, die für die Entscheidungsfindung wichtig sind.

Potenzielle weitere zukünftige Anwendungen von AIMDs wären z.B., die Behandlung von Tumoren im Körper, und von chronischen Krankheiten, sowie die Überwachung des Gesundheitszustandes wie etwa die frühzeitige Erkennung eines Krankheitsausbruchs durch Überwachung bestimmter Moleküle als Biomarker mithilfe der AIMDs.

Wenn es so schwer ist implantierte Geräte im Inneren des Körpers zu steuern, wieso werden sie dann nicht weiter Außen – etwa direkt unter der Haut - implantiert?

In der Praxis werden AIMDs an verschiedenen Körperteilen des Patienten angebracht und können verschiedene Funktionen erfüllen. Je näher so ein AIMD am Organ ist das z.B. überwacht werden soll, umso verlässlicher kann eine Erkennung/Überwachung des Zustands erfolgen, da zum Beispiel die Konzentrationen von krankheitsspezifischen Molekülen dort am größten und damit auch am einfachsten zu „messen“ sind. Wenn das AIMD dagegen weit entfernt vom Organ, das überwacht werden soll, implantiert wird, kann es sein, dass die Konzentration von krankheitsspezifischen Molekülen sehr klein ist, so dass die Krankheit zum Beispiel gar nicht oder erst später erkannt wird.

Wieso sind klassische Konzepte zum Steuern und Auslesen der AIMDs wie etwa elektromagnetische Wellen nicht oder nur eingeschränkt geeignet?

AIMDs müssen mit externen Ressourcen etwa für die Energieübertragung, Datenkommunikation, Steuerung oder Verwaltung kommunizieren. Die Kommunikation kann drahtgebunden oder drahtlos erfolgen. Drähte sind eine häufige Quelle für chirurgische Probleme, Infektionen, Brüche und elektrisches Rauschen. Die drahtlose Telemetrie hat aber den Nachteil, dass sie sehr viel Strom verbraucht und die Übertragungseffizienz aufgrund des umgebenden biologischen Gewebes schlecht ist. Ein Problem ist beispielsweise die starke Dämpfung von elektromagnetischen Wellen durch das Gewebe. Diese Probleme schränken die technologische Entwicklung von AIMDs stark ein. Deswegen fokussiert sich unser Projekt auf alternative Kommunikationsmethoden zwischen mehreren AIMDs und von AIMDs mit externen Geräten.

Was ist mit Gateways gemeint? Wie kann man sich die Anwendung vorstellen?

Das ist gar nicht so einfach. Ein etwas konstruiertes Beispiel könnte so sein: Ein implantiertes AIMD erkennt, durch Messung von krankheitsspezifischen Molekülen, dass der Ausbruch einer Krankheit bevorsteht. Das AIMD ist aber zu tief im Körper implantiert, um diese Information direkt nach außen zu übertragen. Also schickt das AIMD sog. „Messenger Moleküle“ los mit dem Ziel, die Information der Erkennung zu melden. Diese „Messenger Moleküle“ werden dann von einem Gateway empfangen, das zum Beispiel an einer besser zugänglichen Stelle sitzt (etwa als Implantat unter der Haut, oder gar eine Smartwatch am Handgelenk). Das Gateway empfängt dann die Moleküle (eine Information auf der Nano/Mikroskala) und wandelt dieses Signal in ein anderes um, das weiter übertragen und von einem externen Gerät gemessen werden kann.

Kontakt:

Prof. Dr. Silke Härteis
Institut für Molekulare und Zelluläre Anatomie
Universität Regensburg
Tel: +49 (0)941 943-2879
E-Mail: silke.haerteis@ur.de

 

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