Kniegelenkersatz mit Hilfe von Robotik
Universitätsprofessor Dr. Tobias Renkawitz gilt als führender Experte auf dem Gebiet der modernen Endoprothetik. Insbesondere Patienten, die ein künstliches Hüft-/Kniegelenk oder eine komplexe Wechseloperation bei bereits einliegendem Kunstgelenk benötigen profitieren von seiner großen Erfahrung mit internationalem Renommee. Er ist außerdem Vizepräsident des Berufsverbands für Orthopädie Unfallchirurgie (BVOU) sowie Leiter der Arbeitsgemeinschaft für evidenzbasierte Medizin der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und setzt sich dafür ein, dass Forschungsergebnisse mit einem nachgewiesenen Nutzen für Patienten Eingang in die gute medizinische Praxis finden.
Der 48-jährige Mediziner folgte Ende 2024 dem Ruf der Universität Regensburg und kehrte nach über vier Jahren als Direktor an der Universitätsklinik Heidelberg zurück in seine Heimat. Hier wurde er zum Ordinarius für Orthopädie der Universität Regensburg und als neuer ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Orthopädie am Asklepios Klinikum Bad Abbach ernannt. Die Rückkehr in seine Heimat sei für ihn nun eine Herzensangelegenheit, sagt der Orthopäde und Unfallchirurg. Internationale und nationale Fachgesellschaften zeichneten ihn mit hochrangigen Preisen und Stipendien aus, er verbrachte Zeit an universitären Zentren in Skandinavien, England, den USA und Kanada.
Am Klinikum in Bad Abbach war er zuletzt als stellvertretender Klinikdirektor tätig, bevor er den Ruf der Exzellenzuniversität Heidelberg annahm. Seine Computer-assistierte Operationsmethoden, die inzwischen weltweit zum Einsatz kommen, haben international einen neuen Standard gesetzt, auch weil sie für unmittelbare Schmerzfreiheit und eine schnelle Rückkehr in den Alltag sorgen.
An der Universität Heidelberg hatte Prof. Renkawitz den deutschlandweit ersten Kniegelenkersatz mit einem Robotik-System der neuesten Generation durchgeführt. Mit seiner Ankunft an der Klinik für Orthopädie der Universität Regensburg am Asklepios Klinikum Bad Abbach wird dieses Hightech Verfahren für Operationen beim Kniegelenkersatz jetzt auch in Bayern universitär verfügbar. Wir haben nachgefragt, was es damit auf sich hat.
Prof. Dr. Renkawitz / Bild: H. Schröder, Universitätsklinikum Heidelberg
Herr Prof. Renkawitz, was ist der Unterschied zwischen einer Computer-assistierten und einer Robotik-assistierten OP?
Computer-assistierte Chirurgie ist ein Überbegriff für eine ganze Reihe von Verfahren. Am bekanntesten in der orthopädischen Chirurgie ist die Navigationstechnologie, die orthopädische Chirurgen schon seit über einer Dekade, während der OP in Echtzeit, verlässliche räumliche Informationen liefert. Die Weiterentwicklung der Navigation, sozusagen die natürliche Evolution, ist nun die Roboter-assistierte Chirurgie, sozusagen also Computer-assistierte Chirurgie der aller neuesten Generation.
Wie kann man sich den Einsatz von Robotik für Operationen vorstellen? Heißt das, ein Roboter operiert?
Das ist eine wichtige Frage und die Antwort ist „nein“, der Chirurg operiert weiterhin selbst und gibt die Verantwortung für den Eingriff auch nicht aus der Hand. Die Computer-assistierte und in diesem Fall Robotik-assistierte Chirurgie ist also lediglich eine Unterstützung für den Operateur und kein autonomes System. Sie ermöglicht aber ein wesentlich höheres Maß an Präzision als es freihändig und mit bloßem Augenmaß für einen Chirurgen, selbst mit jahrzehntelanger Erfahrung, möglich ist.
Inwiefern ist diese Präzision wichtig?
Während dem Oberflächenersatz des Kniegelenkes, im Volksmund auch "künstliches Kniegelenk" genannt, müssen die zerstörten Knorpelanteile und wenige Millimeter der darunter liegenden subchondralen Schicht mit einer Hochpräzisionssäge abgetragen werden. Allein im Bereich des Oberschenkelknochens sind dafür bis zu sechs Schnittebenen notwendig, auf die im Anschluss der Oberflächenersatz, vergleichbar mit einer Überkronung, platziert wird. Hier geht es bei jedem einzelnen Schnitt um hohe Präzision bei der Abtragungsdicke. Parallel dazu müssen auch spezielle Winkelgrade in den verschiedenen Schnittebenen korrespondierend zu den Auflageflächen für den Oberflächenersatz genau stimmen, damit Patienten nach dem Eingriff eine gute Kniegelenkfunktion erreichen.
Der Roboterarm unterstützt den Chirurgen bei diesen Zielen, in dem er eine akkurate Führung des Instruments ermöglicht. Das System arbeitet dabei in Echtzeit und in einer bislang ungeahnten Präzision. Als Basis dient eine vorher individuell genau für die jeweilige Patientenanatomie festgelegte Planung. Auch hier hilft die Computer-assistierte Chirurgie, denn zu Beginn der Operation wird mit dem System die Patienten-individuelle Anatomie, beispielsweise die Spannung der Seitenbänder am Kniegelenk und die speziellen Gelenkachsen des Patienten, vermessen. Das ist die Basis für ein virtuelles Simulationsmodell, dass dem OP-Team am Computer angezeigt, nochmals geprüft und bestätigt wird, bevor die Operation beginnt. Nach jedem Schritt wird die Genauigkeit der chirurgischen Maßnahmen nochmals verifiziert. Das ist Patientensicherheit im besten Sinne.
Hat die Roboter-assistierte Chirurgie zusätzliche Vorteile?
Bei klassischen OPs müssen Schnittschablonen direkt am Knochen befestigt werden. Diese Manipulation am Knochen entfällt durch die Robotik. Der Roboterarm findet anhand der Computer-assistierten Planung automatisch die richtige Ebene im Raum und hält das Instrument in dieser Position. Der Operateur kann das Instrument dann bedienen. Während der OP entsteht somit insgesamt weniger Trauma am Knochen, möglicherweise auch dadurch bedingt kommen Patienten wieder schneller auf die Beine
Was ist generell der Vorteil der Computer-assistierten Chirurgie?
Schon zu meiner ersten Zeit in Regensburg hatten wir diese Themen in unserer Arbeitsgruppe umfassend wissenschaftlich begleitet. Sowohl für die Knie- und Hüftnavigation konnten wir Genauigkeiten auswerten, die weit über dem natürlichen Augenmaß von Chirurgen mit jahrzehntelanger Erfahrung liegen. Deshalb sind Computer-assistierte Verfahren am universitären Standort in Bad Abbach auch schon seit über einer Dekade Standard.
In einer Studie an 350 Patient*innen konnten wir zudem zeigen, dass die Haltbarkeit von Knie-Prothesen nach dem Einsatz von Computer-assistierter Chirurgie deutlich höher lag als nach Freihand-Operationen. Ganz konkret: Mit der Freihand-Technik benötigten nach zehn Jahren 6,4 Prozent eine erneute Operation, mit der Computer-assistierten-Technik waren es nur 1,9 Prozent. Aber auch in großen Registerstudien, beispielsweise in Australien mit mehr als 44.000 Patient*innen, gibt es wissenschaftliche Daten für den Nutzen von Computer-assistierten Operationsverfahren beim Gelenkersatz.
Allerdings: Nicht die Technologie ist das Entscheidende, sondern das Operationsverfahren – also die Frage, nach welcher Strategie und mit welcher Technik der orthopädische Chirurg die Knieprothese einsetzt.
Können mit der Robotik-assistierten Chirurgie auch weniger gut ausgebildete Chirurgen besser operieren?
Große wissenschaftliche Studien kommen zu dem Ergebnis: Je häufiger ein Chirurg eine Operation durchführt, z.B. einen Hüft- oder Kniegelenkersatz, umso geringer sind Zweiteingriffe, sogenannte Revisionen. Die Computer- oder Robotik-assistierte Chirurgie ersetzt nicht die Expertise und entbindet den Chirurgen nicht davon, zu wissen, welche Operationstechnik und welche Strategie für seinen individuellen Patienten die richtige ist.
Navigation und Robotik machen aus einer ungünstigen Operationstechnik deshalb nicht automatisch eine gute – man kann dann allenfalls "präzise-schlecht" operieren. Und: Um Robotik-assistiert zu operieren braucht es nicht weniger, sondern mehr Knowhow. Deshalb sollten solche Eingriffe auch nur in spezialisierten klinischen Zentren durchgeführt werden, wo solche Eingriffe jeden Tag gemacht werden. An der universitären Klinik für Orthopädie in Bad Abbach sind wir beispielsweise als Endoprothese Zentrum der Maximalversorgung zertifiziert und führen derartige Eingriffe über 1000-mal im Jahr durch.
Wie häufig kommt Computer-assistierte Chirurgie zum Einsatz?
Nach meiner Einschätzung noch nicht so häufig, wie es auf Basis der Datenlage der Fall sein müsste.
Woran liegt das?
Einerseits sind das Verfahren, für die man Expertise und Ausbildung benötigt. Es ist aufwändig, sich in die Technologie einzuarbeiten und die Anschaffung bedeutet für die Klinik eine hohe Investition. Die Kliniken bekommen in unserem System der Fallpauschalen aber am Ende denselben Erlös, ob sie die Technologie nun einsetzen oder nicht.
Andererseits wird von Skeptikern oftmals argumentiert, dass derartige Verfahren die Operationszeit verlängern, sodass pro Tag weniger Eingriffe möglich sind. Persönlich bin ich allerdings der Überzeugung, dass man beim Thema Präzision und Patientensicherheit keine Kompromisse machen sollte. Die Ergebnisse unserer orthopädischen Operationen tragen unsere Patienten ihr ganzes Leben mit sich. Ein fehlpositioniertes Implantat oder eine ungünstige Rekonstruktion der Gelenk Kinematik spüren Betroffene buchstäblich bei jedem Schritt.
Hat die Robotik-assistierte Chirurgie auch einen Vorteil für den Operateur?
Absolut. Als Operateur ist es für mich ein gutes Gefühl, wenn ich weiß, dass nicht Tagesform, sondern das für jeden Patienten individuell optimale Ergebnis im Vordergrund steht. Ein wenig kann man die Situation vielleicht mit smarter und vernetzter Navigation im Auto vergleichen. Auch hier kommt man mit neuester Technologie entspannter ans Ziel und das System kann vorausschauende Hinweise geben, bevor man falsch abbiegt. Der Steuer behält man dabei aber immer selbst in der Hand.
Was ist im Hinblick auf die Operationstechnik wichtig?
Wir alle haben unterschiedlich geformte Beine. Manche haben eine etwas stärkere O- die andere eine stärkere X-Stellung. Ein exakt gerades Bein hat im Übrigen kaum jemand, ob mit oder ohne Arthrose. Lange Zeit war das Ziel, Knieprothesen so einzusetzen, dass die Beine anschließend möglichst gerade ausgerichtet waren. Dazu mussten während der Operation die stabilisierenden Bänder teilweise sehr stark mit chirurgischen Techniken manipuliert werden. Heute weiß man, dass diese Operationsphilosophie Patienten teilweise große Probleme bereitet.
Bei unserer personalisierten Operationstechnik analysieren wir im Vorfeld sehr genau die patientenindividuelle Anatomie und betrachten Bänder, Sehnen und Muskulatur wie eine Hülle, die bei jedem Patienten unterschiedlich geformt ist. Unser Ziel während der OP ist, diese Hülle so gut wie möglich zu erhalten und die Prothese in sie hineinzubalancieren. Der Computer hilft uns, die Hülle im Vorfeld genau zu erfassen und auch schon im Planungsstadium zu verstehen, welche Konsequenzen etwa die Prothese auf die Spannung der Bänder hat.
Welche Chancen sehen Sie für die KI?
Im Moment wird Künstliche Intelligenz in der Orthopädie vornehmlich experimentell und im Rahmen von Studien eingesetzt. Aber es gibt eine realistische Zukunftsvision. Beispielsweise werden bereits heute die meisten Hüftgelenks- und Knieprothesen, die in Deutschland implantiert werden, in einem Endoprothesenregister anonymisiert erfasst. Endoprothesenzentren erfassen darüber hinaus das patientenzentrierte Ergebnis, also Daten zur Verbesserung der Kniegelenkfunktion, Schmerz und Alltagssituationen nach der Operation.
Wenn eine Prothese ausgetauscht wird, kann man im Register durch Zusammenführung von Daten, Lebensdauer und mögliche Wechseloperationen erkennen. Diese Informationen könnten wir in Zukunft mit den simultanen Daten aus Computer-assistierten OPs kombinieren wie etwa Prothesentyp, anatomische Ausgangssituation, Achsen, Bandspannung. Daraus werden sich zukünftig intelligente Optimierungs-Algorithmen anlernen lassen, die am Ende fähig sind, dem Chirurgen aus der Masse an individuellen Daten eine noch präzisere Empfehlung für das personalisierte Vorgehen zu geben.
Wann ist ein Knieersatz empfehlenswert?
Eine Knieprothese ist immer der letzte Schritt. Vorher sollten alle konservativen Maßnahmen wie Physiotherapie, entzündungshemmende Medikamente oder Schmerzmittel ausgeschöpft werden. Dabei helfen vier einfache Fragen, die wir Patienten mit einer Arthrose im Kniegelenk stellen:
1. Gehstrecke: Sind nur noch Strecken unter einer halben Stunde ohne Schmerzen möglich?
2. Schmerzen: Treten die Schmerzen auch unabhängig von Belastungen etwa nachts oder in Ruhe auf?
3. Schmerzmittel: Sind mehrmals die Woche Schmerzmittel nötig?
4. Lebensqualität: Ist die Lebensqualität durch die Schmerzen und die Bewegungseinschränkung deutlich reduziert?
Spritzen ins Kniegelenk sollten, wenn überhaupt, nur in einem mittleren Stadium der Arthrose testweise zum Einsatz kommen, im höheren Arthrosestadium rate ich davon ab. Wenn alle Maßnahmen der nicht-operativen Vorbehandlung ausgeschöpft worden sind und alle vorher genannten vier Punkte mit Ja beantwortet werden, sollte man über eine Knieprothese sprechen. Allerdings gibt es verschiedene Techniken und unterschiedliche Prothesen. Es muss nicht immer ein Vollgelenks-Ersatz sein, vielleicht reicht auch ein Teilgelenk-Ersatz aus. Auch das ist ein besonderer Schwerpunkt bei uns an der universitären Orthopädie in Regensburg/Bad Abbach.
Empfehlen Sie generell, so spät wie möglich zu operieren?
Wie bereits formuliert, ist die Operation nicht der erste Schritt. Für Patienten die große Einschränkungen ihrer Lebensqualität durch Arthrosebeschwerden haben, können künstliche Gelenke aber einen großen Gewinn bedeuten. Auch das wurde in den letzten Dekaden wissenschaftlich intensiv untersucht. Der Ersatz der zerstörten Knorpelschichten an Knie und Hüfte zählt zu den erfolgreichen Operationen der orthopädischen Chirurgie. Insofern geht es bei der Wahl des Operationszeitpunktes also um die persönliche Lebenssituation. Das ist Aufgabe eines ausführlichen Patientengespräches im Rahmen der Indikationsstellung.
Wie hoch ist denn der Anteil der Patienten, die nach einem Austausch des Kniegelenks, zufrieden sind?
Kunstgelenke werden sehr häufig implantiert. Allein in Deutschland über 200.000 künstliche Kniegelenke jährlich. Studien zeigen, dass 80 Prozent der Patienten zufrieden sind, bis zu 20 Prozent klagen über Restbeschwerden. Diese Statistik ist in den meisten westlichen Ländern ähnlich. Oftmals ist dies bedingt durch eine ungenügende Berücksichtigung der patientenindividuellen Situation oder eine unvorteilhafte Platzierung der Kunstgelenke. Gerade deshalb ist es so entscheidend, dass wir den Fokus auf personalisierte Operationstechniken und innovative Technologie setzen.
Schon mit der Navigation ohne Robotik konnten wir für unsere Patienten sehr gute Ergebnisse erreichen, mit der Weiterentwicklung zur robotischen Chirurgie haben wir nun eine neue Tür aufgestoßen. Im Ausland wurde das System schon sehr erfolgreich eingesetzt. Ich bin dankbar, dass ich diese Innovation nun aus Heidelberg mitbringen konnte. Das Ganze funktioniert aber nur in einem eingespielten Team. Die große Erfahrung mit Computer-assistierter Orthopädie am Campus in Bad Abbach und die tolle Zusammenarbeit zwischen Pflegenden, Anästhesie, Physiotherapie und Chirurgie ist deshalb ein Glücksfall.
© Universität Regensburg / Interview: Karoline Stürmer
Weiterführende Links
Während einer Knie-OP / Bild: Prof. Renkawitz
Lehrstuhl für Orthopädie - Universität Regensburg
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Orthopädische Präzision im Zei – OrthoCast - Der Orthinform Podcast – Apple Podcasts
Comments
Prof. Renkawitz ist "der Überzeugung, dass man beim Thema Präzision und Patientensicherheit keine Kompromisse machen sollte. Die Ergebnisse unserer orthopädischen Operationen tragen unsere Patienten ihr ganzes Leben mit sich." Dem kann ich nur zustimmen! Es ist an der Zeit, dass wir uns stärker auf Qualitätsindikatoren konzentrieren, um die medizinische Versorgung zu verbessern. Das System der Fallpauschalen hat in der Vergangenheit oft zu einer einseitigen Fokussierung auf Kosten und Effizienz geführt, was nicht immer im besten Interesse der Patient*innen war. Ärzte wie Prof. Renkawitz stärken unser Gesundheitssystem und bringen uns auch in der Forschung weiter!