Es besteht Redebedarf

Sprache prägt unsere Welt, unsere Verhaltensweisen, unsere Überzeugungen.
Im Gespräch werden wir informiert, unterhalten, vielleicht manipuliert. Ob der sprechenden Person das jeweils gelingt, hängt von ihren rhetorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten ab, von ihrer Redegewandtheit, von ihren sprecherischen Möglichkeiten. Wer etwas vermitteln will, sagt Rhetorik-Dozentin Dr. Brigitte Teuchert, muss sich an den Zuhörenden orientieren: „Wie ticken sie? Was interessiert sie? Was kann ich an Wording als bekannt voraussetzen, was muss ich an Fachtermini erklären? Welche Beispiele verstehen sie?“
Brigitte Teuchert, die ursprünglich Germanistik, Geographie und Sprecherziehung studierte, hat über 40 Jahre Lehrerfahrung im Bereich Rhetorik und Sprecherziehung. Sie wirkte maßgeblich am Aufbau des berufsbegleitenden Master of Speech Communication and Rhetoric an der Universität Regensburg mit. Der Studiengang richtet sich an alle, die berufsmäßig verhandeln, erklären, überzeugen müssen. Er ist bundesweit der einzige berufsbegleitende Masterstudiengang in Rhetorik.
Vor zwei Jahren ging Teuchert in den offiziellen Ruhestand. Nun wendet sie sich noch einmal konkret an Studierende. Ihre jüngste Publikation vermittelt ihnen deren Grundlagen und erläutert die Basis für erfolgreiches Sprechen in Studium und Fachwelt – sei es beim Seminarreferat, bei der Verteidigung der Dissertation oder bei der Posterpräsentation auf einem Fachkongress.
„Es ist eine unglaubliche Diskrepanz zwischen dem, was an Anforderungen im Bereich Mündlichkeit auf mich zukommen, wenn ich die Uni verlassen habe, und dem, was ich in der vorhergehenden Zeit mitbekomme,“ sagt Teuchert. Hinsichtlich der Studierenden ging es ihr um einen sehr breiten Überblick über das Fach, „mit Fokus auf Transfer und Lesbarkeit“.
Kommunalverwaltungen, Unternehmen, Ministerien investieren viel Geld, um ihr Personal rhetorisch nachzuschulen.
Oft sind es Berufstätige aus den Bereichen Jura, Medizin, Lehre, Schauspiel oder Journalismus, die über Rhetorik lernen und ihre Sprechfertigkeiten optimieren wollen. Einige stehen am Anfang ihrer Karriere, andere blicken auf langjährige Erfahrung zurück. Sie eint die Erkenntnis, „dass fachliche Kompetenz unabdingbar, aber in vielerlei Hinsicht nicht hinreichend ist“, sagt Teuchert. Man muss sie auch rüberbringen.
Ihre lange Berufserfahrung, erklärt die Dozentin, habe es ihr ermöglicht, sich sehr genau in diese Welt der Studierenden hineinzuversetzen. Sie kennt die Herausforderungen, denen Studierende im Studium in Sprechsituationen gegenüberstehen. Diese sind unabhängig vom Studienfach. Aber nicht nur während des Studiums schlägt sich nieder, wenn ich mich nicht vermitteln, wenn ich meine Themen optisch und akustisch nicht adäquat darstellen kann.
Unweigerlich erinnert man sich an die Schule, an die Lehrkräfte, die Inhalte so vermittelten, dass sie heute noch präsent sind. Vor allem aber auch an die, die man nicht verstanden hat.
Lehrkräfte werden in Didaktik geschult. Sie folgt genauen Plänen, welche Lerninhalte vermittelt werden. Rhetorisch aber werden Lehrkräfte in der Regel nicht ausgebildet. „Sowohl in der Schule als auch in den Lehramtsstudiengängen bleibt es dem Zufall überlassen, ob Lehrkräfte in Sachen Rhetorik etwas auf den Weg mitbekommen, berichtet Teuchert.
Warum ist das so? „Es herrscht die Überzeugung, dass die Fähigkeit, darzustellen, zu erklären, sich verständlich zu machen, während des Studiums von allein entsteht.“ Diese Überzeugung hat sich in den vergangenen 50 Jahren laut Teuchert kaum verändert.
Teuchert geht davon aus, dass Lehrkräfte Sprechfertigkeiten zu 99 Prozent aufgrund inhaltlicher Kriterien bewerten. Strukturelle Kriterien fließen aus ihrer Sicht nicht ein. Sprechweise, roter Faden, Beispiele, Argumentationen werden nicht unter die Lupe genommen. Sie kenne das, sagt Teuchert, „das soll gar nicht wertend sein.“ Es gibt Studierende mit Talent, die registriere man. Die anderen laufen mit.
Es bleibt Lehrkräften in Deutschland in der Regel individuell überlassen, sich rhetorisch zu bilden.
Verpflichtend ist eine sprecherzieherische Ausbildung für Lehramtsstudierende nur im Freistaat Sachsen, weiß Teuchert, ein Überbleibsel aus Zeiten der DDR. Regensburg ist im Bundesvergleich sehr gut aufgestellt: Es gibt ein Lehrgebiet „Mündliche Kommunikation und Sprecherziehung“. Der Masterstudiengang wendet sich an Berufstätige, ein Zertifikatsstudiengang „Angewandte Sprechwissenschaft“ wendet sich an Studierende aller Fakultäten.
In vielen Fällen sei der Verzicht auf rhetorische Weiterbildung unheimlich schade, bedauert Teuchert, „in Anwendungsfällen habe ich oft festgestellt, dass großes Wissen da war, aber es ging in Meetings oder Präsentationen verloren“. Ein wenig gehe es aber immer auch um Talent beim Präsentieren und Sprechen. Wie beim Erlernen eines Musikinstrumentes. Manche bräuchten mehr Unterricht als andere.
Die Frage, ob man die Physikerin in der gleichen Zeit „sprecherziehen“ kann wie den Gesellschaftswissenschaftler, lässt sich daher auch nicht pauschal beantworten. „Das würde ich weniger fachlich als individuell festmachen“, sagt Teuchert. Manchen fällt manches leichter oder eben schwerer als anderen.
Sie habe viele kennengelernt, so die Dozentin, „die fachlich unheimlich gut waren und sich im Mündlichen so unter Wert verkauften, dass sie karrieretechnisch zurückblieben, so ihre Vorgesetzten nicht das Potenzial erkannten“.
Die gute Nachricht – sprecherische Fähigkeiten und Fertigkeiten lassen sich trainieren.
Referat, Seminarleitung, Vorlesung, Präsentationen bei Fachkongressen – worauf es dabei ankommt gut und verständlich zu vermitteln, sagt Teuchert, „traue ich mir für alle Fächer zu. Oft lassen sich Quantensprünge erreichen“. Dem darf man glauben: Selten ist ein Gegenüber im Interview so präzise, so verständlich, so aufmerksam. Jeder Satz sitzt.
Eine gute Körperspannung beim Sprechen verändert bereits die Optik. Wenn man jemandem bei seinen Ausführungen nicht folgen kann, liegt es oft an einer „massiven Diskrepanz zwischen dem, wo die sprechende Person gedanklich steht und wo sie beim Sprechen angekommen sind, erläutert Teuchert. Fehlende Pausen oder falsche Stimm-Modulierung erschweren das Zuhören. Oder an ungeeigneter Stelle schwingen Fragezeichen mit und hinterlassen in Sachen Glaubwürdigkeit einen nicht erwünschten Effekt.
Sind junge Menschen heute durch das ständige Sich-selbst-Präsentieren auf Social Media geübter? Teuchert braucht nicht lange zu überlegen. „Ich würde das nicht an der Generation festmachen. Es ist auch in Präsenz ein gefühlter Sprung, ob ich in der Cafeteria plaudere oder im Seminarraum stehe.“
Ist gute Lehre nur möglich, wenn ich bereit bin, mich so verständlich wie möglich zu machen? Besser wird sie in jedem Fall. Es ist höhere rhetorische Kunst, ein sehr komplexes Thema aufzubereiten – man denke an TED Talks oder Science Slams. Teuchert mag beides. „Es gibt eine große Range, wie ich Themen zuhörerspezifisch so aufbereite, dass sie verständlich werden.“
Eine Vorlesung im ersten Semester müsste sich eigentlich anders gestalten als eine Vorlesung für Examenssemester, dessen ist die Dozentin sicher. „Spreche ich zu denen, die das Studium beginnen, muss ich eventuell Fachtermini oder große Zusammenhänge erklären – stehen die Zuhörenden kurz vor dem Examen, erübrigt sich das.“
Der Perspektivwechsel der Sprechenden in Richtung der Zuhörenden ist für diese höchst hilfreich – und signalisiert nicht zuletzt Wertschätzung.
„In der angelsächsischen Welt ist man uns da meilenweit voraus“, sagt die Dozentin, an Rede-Wettstreits und Debattier-Clubs erinnernd, mit denen beispielsweise Studierende in Nordamerika von Studienbeginn an zugange sind. Anders bei uns. Teuchert erzählt von einem Absolventen des Fachs Wirtschaftsingenieurwesen: Sein erstes mündliches Auftreten nach zehn Semestern Studium hatte er bei der Verteidigung seiner Masterarbeit.
Teucherts Anliegen ist es, „dass all das Wissen um rhetorische Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht zuletzt dazu dient, sich auch selbst ein wenig wohler zu fühlen“. Wer über ein gewisses sprecherisches Repertoire verfügt, hat mehr Möglichkeiten zur Verfügung, passgenau zu reagieren und das, egal was kommt. Kinder zum Beispiel. „Die wissen genau, an welchen Schräubchen sie drehen müssen“, lacht Brigitte Teuchert. „Ich habe mich durchaus auf Gesprächstechniken fokussiert, um mich nicht triggern zu lassen“.
Wir lernen also erneut nicht für die Schule, sondern fürs Leben.
Originalpublikation: Brigitte Teuchert: Souverän präsentieren und argumentieren. Rhetorische Werkzeuge fürs Studium. Verlag Barbara Budrich, 2025. DOI: 10.36198/9783838565200
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