Das Jahr 2025 wurde von den Vereinten Nationen zum Jahr der Quantenwissenschaften und -technologien erklärt. Die Quantenphysik, deren theoretischen Fundamente vor genau 100 Jahren gelegt wurden, hat unser Verständnis der Welt revolutioniert und beeinflusst heutzutage viele Aspekte unseres täglichen Lebens. Wir haben bei Prof. Klaus Richter nachgefragt, was es mit der Quantenmechanik genau auf sich hat. Klaus Richter ist seit 2001 Professor an der Universität Regensburg mit Forschungsschwerpunkten zu komplexen Quantensystemen und der Theorie der kondensierten Materie. Er war Sprecher des DFG-Sonderforschungsbereichs „Emergente relativistische Effekte in der Kondensierten Materie“ und ist seit März 2024 Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, der größten und ältesten physikalischen Fachgesellschaft der Welt. Vom 16. bis 21. März 2025 findet erneut deren große Frühjahrstagung in Regensburg statt, bei der auch verschiedenste Facetten der Quantenphysik im Vordergrund stehen. Die Tagung mit etwa 5000 Teilnehmenden aus dem In- und Ausland ist der größte Physikkongress Europas.

Herr Prof. Richter, wie erklären Sie Nichtwissenschaftlern den Begriff „Quantenphysik“?


Dazu muss man zunächst erklären, was „Quanten“ sind:
Die Eigenschaften physikalischer Objekte werden durch physikalische Größen beschrieben, wie beispielsweise die Energie. In der klassischen Physik variiert die Energie kontinuierlich. In der Quantenphysik dagegen ist die Energie auf diskrete Werte beschränkt, sie wächst stufenförmig. Die Energie ist ein Vielfaches von kleinsten, klar definierten „Energieportionen“, den Quanten. 

Wenn nun Energie in Form von elektromagnetischer Strahlung, wozu das Licht gehört, übertragen wird, so geschieht das entsprechend in Form von kleinen Lichtquanten, den Photonen. Es gibt aber nicht nur „die einen“ Energie-Quanten, sondern je nach physikalischer Größe auch andere Arten von Quanten, z.B. für Molekülschwingungen, für die elektrische Leitfähigkeit oder für magnetische Eigenschaften.

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und - technologie erklärt. Was ist das Ziel?


Das Quantenjahr 2025 umfasst ein ganzes Jahr, welches der Quantenphysik gewidmet ist. Wir feiern deren Erfolge und Zukunftsperspektiven. Es steht außer Zweifel: Die Quantentheorie gehört zu den großen fundamentalen Erkenntnissen der Menschheit über die Welt, in der wir leben. Die Quantenphysik beeinflusst unser aller Leben mannigfach, mit allen Chancen und Risiken. Durch das Quantenjahr soll daher allen näher gebracht werden, was es mit Quantenphysik auf sich hat, wo sie überall eine Rolle spielt, aber insbesondere auch, welche Möglichkeiten die Quantenphysik noch zukünftig eröffnen könnte.

Wie beeinflussen die Quantenwissenschaften unser tägliches Leben bereits heute?


Was als wenig anschauliche Theorie 1925 begann, ist mittlerweile aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Quantenmechanik ist schon lange praktische Grundlage der gesamten Informationstechnologie, die unsere Wirtschaft dominiert. Verschiedenste Technologien unseres täglichen Lebens, die ohne Quantenphysik undenkbar wären, spielen in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen eine Schlüsselrolle: Dazu gehören praktisch die gesamte Mikroelektronik, also von Halbleiter-Chips in Handys und Computern bis hin zu Speichermedien, der Einsatz von Technik gegen den Klimawandel, von der Photovoltaik als regenerativer Energiequelle bis hin zu energiesparenden LEDs, sowie Anwendungen der Quantenphysik in der Medizin: von Laseranwendungen bis hin zur Kernspintomographie. Aber beispielsweise auch Atomuhren zur hochpräzisen Zeitmessung, auf die wir angewiesen sind. Alle diese Technologien unseres Alltags beruhen auf Quantenphysik.

Welche historischen Meilensteine haben zur Entwicklung der Quantenwissenschaften geführt?


In der Zeit vor 1925 wuchs die Zahl der physikalischen Rätsel, die sich nicht mithilfe der bis dato existierenden klassischen Physik erklären ließen. Diese klassische Mechanik beschreibt die makroskopische Welt um uns herum, von der Bewegung der Planeten bis hin zur Sandlawine. Sie versagt aber im Mikrokosmos. Die Quantenphysik füllt diese Lücke auf kleinsten Längenskalen und beschreibt das Verhalten und die Wechselwirkung von Molekülen, Atomen und noch kleineren Teilchen aus denen diese bestehen.


Die Geburtsstunde der Quantenphysik wird Max Planck zugeschrieben, der vor 125 Jahren, also im Jahr 1900, in Berlin seine berühmte Quantenhypothese aufstellte, nach der Energie im Mikrokosmos in gequantelten Portionen auftritt. Damit konnte er ein wichtiges Strahlungsgesetz in Einklang mit Beobachtungen bringen. Wenige Jahre später verwendete Einstein dann diese Lichtquanten-Hypothese, um den Fotoeffekt zu erklären, der die Grundlage der heutigen Fotovoltaik bildet.


Und vor genau 100 Jahren, im Jahr 1925, wurden die grundlegenden Gesetze der Quantenmechanik zum ersten Mal formuliert. Und das, mit einem Paukenschlag, innerhalb kürzester Zeit und bemerkenswerterweise unter Mitwirkung mehrerer junger Physiker wie Werner Heisenberg, Wolfgang Pauli und Paul Dirac im Alter unter 25 Jahren. Heutzutage wären sie noch Physikstudenten.


Nach der initialen Arbeit von Heisenberg folgten im selben Jahr 1925 zwei weitere Arbeiten von Max Born und Pascual Jordan und gemeinsam von allen drei Autoren. In diesen drei Arbeiten aus Göttingen wurden grundlegende Gesetze der Quantenmechanik zum ersten Mal formuliert. Diese Veröffentlichungen markieren den Beginn einer Ära, die unsere gesamte Welt verändern sollte. Und was in Göttingen im Jahr 1925 begann, wurde in Windeseile in Europa und international aufgegriffen. Physiker wie Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli, Paul Dirac und Niels Bohr lieferten umgehend weitere bahnbrechende Beiträge zur Quantenmechanik. Und in den weiteren Jahrzehnten bis heute lassen sich zahllose weitere Durchbrüche in der Quantenphysik benennen, die diese zu dem gemacht haben, was sie heute darstellt.

„Die Quantentheorie gehört zu den großen fundamentalen Erkenntnissen der Menschheit über die Welt, in der wir leben.“                                                                         Prof. Klaus Richter

In welchen Bereichen sehen Sie das größte Potenzial für Quantenwissenschaften in den nächsten zehn Jahren?


Ich greife hier ein vielleicht herkömmlich erscheinendes Beispiel heraus, welches uns die Relevanz der Quantenwissenschaften für unser aller Zukunft besonders eindrücklich vor Augen führt: Für die Bekämpfung des Klimawandels und die zur Erreichung der Klimaziele notwendigen Transformation hin zu einer fossilfreien Energiewirtschaft ist das nächste Jahrzehnt mit entscheidend. Der World Energy Outlook 2024 der International Energy Agency gibt, nach Technologien aufgeschlüsselt, Aufschluss über die für die nächste Dekade prognostizierte Entwicklung bei der weltweiten Erzeugung von elektrischer Energie. Demnach wird die Fotovoltaik 2035 mit weitem Abstand vor allen fossilen und fossilfreien Energiequellen rangieren. Die heutige Fotovoltaik beruht aber in besonderem Maße auf Quantenphysik: beginnend mit Einsteins Entdeckung des Fotoeffekts auf der jahrzehntelangen Weiterentwicklung der Halbleiter-Quantenphysik. Mit anderen Worten, Quantenphysik ist essenziell für die Energiewende. Der erwartete weltweite Aufwuchs bei Solarenergie in den kommenden 10 Jahren liegt übrigens zehnmal höher als bei der Kernenergie.

Wie könnten Quantenwissenschaften die Technologiebranche und andere Industrien revolutionieren?


Wir stehen erst am Anfang – bezeichnenderweise 100 Jahre nach der Formulierung der Quantenmechanik haben die Quantenwissenschaften und die aktuellen Entwicklungen der Quantentechnologien enorm an Dynamik gewonnen. Das Kürzel Quantentechnologie 2.0. umfasst neue potenzielle Anwendungen, von der sicheren Übertragung von Daten durch Quanten-Kommunikation über Quanten-Sensoren bis hin zum Quanten-Computing. Derartige Zukunftsquantentechnologien werden unsere Welt voraussichtlich ein weiteres Mal grundlegend verändern. Nur kann das zum Teil noch lange dauern und unser heutiges Vorstellungsvermögen übersteigen. Um ein historisches Beispiel zu geben: Zu Beginn der fünfziger Jahre war das Konzept des auf Quantenphysik beruhenden Lasers noch völlig unbekannt, und heute spielt er eine herausragende Rolle, vom Laserpointer bis hin zum Einsatz bei Augenoperationen. Wir müssen daher die Fantasie aufbringen, das Unerwartete zu erwarten.

Gibt es konkrete Projekte oder Technologien, die kurz vor der Marktreife stehen und unser Leben grundlegend verändern könnten?


Manche sprechen von der 2. Quantenrevolution, vor der wir gerade stehen, und tatsächlich fließt momentan viel Kapital in die Entwicklung von Quantencomputern, und das gesamte Gebiet der Quantenwissenschaften entwickelt sich gerade sehr dynamisch. Das bedeutet aber sicher nicht, dass es plötzlich einen Quantencomputer gibt als sofortigen gamechanger für unser Leben. Auch die Entwicklung heutiger Höchstleistungsrechner, die auf der bisherigen Quantenphysik beruhen, hat über 50 Jahre gebraucht.

Welche größten Herausforderungen sehen Sie derzeit in der Forschung und Entwicklung der Quantenwissenschaften?


Die Umsetzung von Ergebnissen der Grundlagenforschung in Quantentechnologien 2.0, in der auch ingenieurwissenschaftliches Knowhow zum Tragen kommt.

Welche ethischen Fragen und Bedenken sind mit der Entwicklung und Anwendung von Quantencomputern verbunden?


Das ist heute noch schwer abzusehen. Wichtig ist immer Transparenz, also, offenzulegen, wie sie wirklich funktionieren, und Teilhabe, das heißt, dass nicht nur wenige Firmen oder Staaten exklusiven Zugriff auf zukünftig möglicherweise mächtige Quantencomputer haben. Dieses zu erreichen, ist auch ein Ziel des internationalen Quantenjahres der UN.

Wie kann die Öffentlichkeit besser über die Quantenwissenschaften informiert und dafür begeistert werden?


Um ein Beispiel zu geben: Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) hat die Federführung des Quantenjahres in Deutschland übernommen. Unter dem Motto „Quantum2025 – 100 Jahre sind erst der Anfang …“ finden verschiedenste öffentliche Veranstaltungen und Aktivitäten statt, untergliedert in fünf Themenbereiche, von Quantentechnologien über Quanten in der Schule, in der Musik, Philosophie, Kunst, Literatur und Film – Stichwort „Oppenheimer Film“. Weiterhin wird es Formate geben, die den historischen Hintergrund im Blick haben, aber auch insbesondere die moderne Quantenwelt mit zukünftigen Quantentechnologien.


Diese Aktivitäten für die Öffentlichkeit in Deutschland finden sich unter der zentralen Internetseite quantum2025.de und international unter quantum2025.org.

Welche Rolle spielt die Bildung in der Förderung der nächsten Generation von Quantenwissenschaftlern?


Meiner Meinung nach sollte die Faszination, die die moderne Quantenphysik ausübt, in der Schule dazu genutzt werden, das Interesse an Naturwissenschaften und insbesondere an der Physik zu steigern, um dadurch mehr Studierende zu gewinnen.
Auf der universitären Ebene denken wir an unserer Fakultät über einen neuen Masterstudiengang mit Schwerpunkt Quantum Science and Technology nach.

Was fasziniert Sie persönlich am meisten an den Quantenwissenschaften?


Ideen und Vorhersagen, die vor wenigen Jahrzehnten nur sogenannten Gedankenexperimenten entsprangen, lassen sich heute oft experimentell realisieren und prüfen. Und dennoch bleiben viele offene Fragen: nach dem Wesen des Messprozesses oder die Frage, wie die Quantenmechanik des Mikrokosmos in die klassische Mechanik des Makrokosmos übergeht.
Auf einer Metaebene finde ich es immer wieder faszinierend, welche enorme gesellschaftliche Wirkung und Bedeutung eine abstrakte physikalische Theorie wie die Quantenmechanik entfalten kann.

Welchen Rat würden Sie jungen Menschen geben, die eine Karriere in den Quantenwissenschaften anstreben?


Sich von ihrer Neugierde leiten zu lassen und erst einmal Physik zu studieren, möglichst an der UR.

 

Copyright: Universität Regensburg / Interview: Karoline Stürmer

Weiterführende Links

Link zur Tagung:

https://regensburg25.dpg-tagungen.de/

Links zum Quantenjahr - Eröffnung in Deutschland mit Vortrag von Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle:

 

Comments

No Comments

Write comment

* These fields are required