Die Definition der positiven Zukunft

Ein wenig zuversichtlich ist die Rednerin dann doch. Als sie begann, sich mit den Kontexten von und rechtlichen Voraussetzungen für Klima- und Artenschutz zu beschäftigen, „waren dies keine Themen für die Politik“, sagt Professorin Dr. Charlotte Streck. Nun sei man sich des Problems bewusst. Alle wüssten, dass fossile Energien keine Zukunft haben. Das wüssten auch die, die das Gegenteil behaupten.
Aber wenn wir die Welt retten wollen – es kann eigentlich gar nicht pathetisch genug klingen, richtig? – dann muss „sehr viel geschehen, und es muss sehr schnell gehen“. Daran lässt Streck keinen Zweifel.
Alle Disziplinen müssen zusammenarbeiten, es geht nicht um ein Problem der Naturwissenschaften oder der Technologie. „Wir brauchen alle, nicht zuletzt die Gesellschaftswissenschaften!“ Denn das Problem sind gewissermaßen die Köpfe.
Die Menschen seien vom Wandel überfordert, wollen, dass alles bleibt, wie es ist. Strecks Fazit: „Wir hängen fest.“
Streck will raus aus diesem Festhängen.
Klima- und Artenschutz gemeinsam denken
Als Honorarprofessorin lehrt sie an der Universität Potsdam zu Klimapolitik, als Geschäftsführerin der Denkfabrik Climate Focus berät sie Akteur*innen in diesem Themenfeld. In der 4. Regensburg Lecture in Sustainability am 14. Mai 2025 an der Universität Regensburg findet sie deutliche Worte.
Die studierte Biologin und Juristin, auch Alumna der UR, fordert in ihrem mit viel Applaus bedachten Vortrag bei der offiziellen Eröffnung des UR-Zusatzstudiengangs Nachhaltigkeit gestalten dazu auf, Klima und Biodiversität gemeinsam zu denken - auf internationaler als auch auf nationaler Ebene.
Klima beeinflusst die Natur
- Temperatur- und Niederschlagsveränderungen verändern Lebensräume: Arten wandern ab oder sterben aus.
- Extreme Wetterereignisse wie Dürren, Stürme oder Überschwemmungen bedrohen ganze Ökosysteme.
- Klimawandel verschiebt ökologische Gleichgewichte – Pflanzen blühen früher, Tiere wandern zu anderen Zeiten.
Natur und Klima wollen gemeinsam betrachtet werden, „werden aber oft in Silos gedacht“.
Wenn an den Themen gearbeitet wird, sagt Streck, sei es „in den meisten Fällen von unterschiedlichen Ministerien, Abteilungen und Arbeitsgruppen“. Ein immenses Problem, fehle doch häufig die Koordinierung der Aktivitäten dieser unterschiedlichen Ministerien, Abteilungen, Arbeitsgruppen.
Biodiversität beeinflusst das Klima
- Wälder, Moore und Ozeane binden große Mengen CO₂ – sie sind natürliche Kohlenstoffsenken.
- Gesunde Ökosysteme regulieren das lokale Klima, z. B. durch Verdunstungskühlung oder Feuchtigkeitsrückhalt.
- Intakte Biodiversität erhöht die Resilienz von Ökosystemen gegen den Klimawandel.
Silodenken, fehlende Koordinierung - Phänomene, die sich aus Sicht der Expertin auch international in zwei verschiedenen Regimen, die das Klima retten sollen, widerspiegeln:
Das Pariser Klimaübereinkommen blickt auf den Klimaschutz, der Globale Biodiversitätsrahmen (englisch Global Biodiversity Framework, GBF) auf den Artenschutz.
Pariser Klimaübereinkommen und Globaler Biodiversitätsrahmen
Mit dem sog. Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember 2015 verpflichteten sich 195 Staaten dazu, zum Klimaschutz beizutragen und die Weltwirtschaft klimagerecht umzugestalten.
Das Abkommen bezieht den globalen Süden ein, wenngleich der globale Norden historisch eine andere Verantwortung trägt. Aber das Kyoto-Protokoll, in dem nur 38 Länder sich grundsätzlich dazu verpflichteten, Treibhausgas-Emissionen zu deckeln, hatte sich als zahnloser Tiger entpuppt, welcher nicht die Mittel hat, dem Problem effektiv entgegenzutreten.
Eigentlich klingt alles gut: Das Klimaabkommen von Paris sieht ein System der „pledge and review“, des „Versprechens und Prüfens“ vor. Seine Bestimmungen „oszillieren juristisch zwischen Verpflichtung und Aufforderung“, sagt Streck. Strengere Klauseln verpflichten Staaten nun grundsätzlich zu Minderungsmaßnahmen, weichere Formulierungen legen die Führungsrolle der Industrienationen fest und „schubsen Entwicklungsländer sachte in Richtung von Zielverpflichtungen“. Eine ganze Reihe von Verpflichtungen gelten auch für alle Länder, unabhängig von Zuordnung, historischen oder aktuellen Emissionen und Fähigkeiten.
Das Pariser Klimaübereinkommen birgt verschiedene Herausforderungen, erklärt die Referentin.
- Die Vertragsstaaten verpflichten sich, gemeinsam den „Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau“ zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, „den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen“ (Art. 2.1.a) – ein ehrgeiziges Ziel.
- Jedes einzelne Land verpflichtet sich zu seinem nationalen Beitrag zu diesen globalen Klimazielen. Das Übereinkommen überlässt es aber weitestgehend ihnen, zu entscheiden wann, wie und wie viel. So sind die nationalen Beiträge in erster Linie Absichtserklärungen, Klimaziele zu erreichen.
- Die Länder haben weitreichende Berichtspflichten über Maßnahmen und Emissionen; Industrieländer sind erstmals auch rechenschaftspflichtig über ihre finanzielle und anderweitige Unterstützung für Länder des globalen Südens.
Soweit der Klimaschutz. Und der Artenschutz?
Streck skizziert im Anschluss den GBF – mit der Vision eines Lebens in Harmonie mit der Natur bis 2050.
Der Globale Biodiversitätsrahmen baut auf vier übergeordnete Ziele.
- Erhalt der Biodiversität
- Nachhaltige Nutzung von Wasser, Holz und Nahrung
- Gerechte Aufteilung (z. B. medizinischer Wirkstoffe aus Pflanzen)
- Stärkung der Umsetzung durch den Ausbau von Finanzmittel, Kapazitäten, Technologien und Wissen.
23 konkrete Zielvorgaben werden im GBF für 2030 angepeilt; so sollen 30 % der Land- und Meeresflächen der Erde bis 2030 unter wirksamen Schutz gestellt und 30 % der degradierten Ökosysteme renaturiert und wieder funktionsfähig gemacht werden. Darüber hinaus soll das Risiko für bedrohte Arten deutlich gesenkt und Umweltbelastung durch Plastik, Pestizide und Düngemittel auf ein Niveau reduziert werden, das der Natur nicht mehr schadet.
Erreichen will man das unter anderem durch Abschaffung schädlicher Subventionen (z. B. für Überfischung oder Abholzung); durch Mobilisierung von jährlich mindestens 200 Milliarden US-Dollar für den Schutz der Biodiversität und durch die Einbindung indigener Völker: Rechte, Beiträge und Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften sollen ausdrücklich anerkannt und geschützt werden.
Beispiele für Aktivitäten unter dem GBF, die auch Klimanutzen haben:
- Schutz bestehender Ökosysteme, um Arten und Ökosysteme zu erhalten. Beispiele dafür sind die Ausweisung von Schutzgebieten, die vermiedene Zerstörung und Umnutzung von Wäldern und der Erhalt mariner Lebensräume.
- Renaturierung und Wiederherstellung von Ökosystemen durch restaurative Maßnahmen, die Kohlenstoff aus der Luft entnehmen und ihn in stabiler Form in Ökosystemen binden. So werden Lebensräume für bedrohte Arten und die Resilienz von Ökosystemen wiederhergestellt. Beispiele für solche Maßnahmen sind die Aufforstung von Wäldern, die Wiedervernässung von Mooren oder die Renaturierung von Auen und Flusslandschaften.
- Nachhaltige Land- und Forstwirtschaft. Es geht um (1) nachhaltige Landnutzung - die Anpassung wirtschaftlicher Praktiken, so dass Ökosystemleistungen (Kohlenstoffentnahme und reduzierte Emissionen, Schutz und Stärkung von Artenvielfalt, Schutz von Wasserreservoirs und -kreisläufen) gestärkt werden und (2) um nachhaltige Forstwirtschaft: Holzproduktion in Einklang mit natürlicher Regeneration oder etwa in Form von mehr Mischwäldern.
Schnittstellen und Synergien
Wie lässt sich nun beides zusammenbringen? Wo gibt es thematische Schnittstellen zwischen dem Abkommen von Paris und dem GBF? Wo lassen sich Synergien bilden? fragt Streck.
| Abkommen von Paris | GBF | Synergien |
Naturbasierte Lösungen / Ökosystem-basierte Ansätze | Erkennt die Rolle von Ökosystemen (Wälder, Feuchtgebiete, Ozeane) für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel an | Fördert die Wiederherstellung und den Schutz von Ökosystemen | Der Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen stärkt die Kohlenstoffsenken und die biologische Vielfalt. |
Landnutzung, Forstwirtschaft und Landwirtschaft | Schlüsselsektoren in Artikel 5, REDD+ und den nationalen Klimazielen oder NDCs | Ziel ist die nachhaltige Bewirtschaftung von Land, Land- und Forstwirtschaft, um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. | Nachhaltige Landbewirtschaftung kann gleichzeitig Vorteile für das Klima und die biologische Vielfalt bringen. |
Ernährung und Ernährungssysteme | Notwendig, um Emissionen zu reduzieren (Ernährung, Abfall). | Notwendig, um Artenvielfalt in der Landwirtschaft zu erhalten und wiederherzustellen. | Notwendig, um konkurrierende Flächennutzung aufzulösen. Gesundheit! |
Anpassung und Resilienz | Notwendigkeit der Klimaanpassung | Konzentriert sich auf die Erhaltung und Renaturierung von Ökosysteme | Gesunde Ökosysteme erhöhen die Widerstandsfähigkeit. |
Das Abkommen von Paris und der GBF, fasst die Rednerin zusammen, haben unterschiedliche Zielsetzungen, überlappten aber. Die Synergien seien jedoch noch nicht ausgenutzt. Streck fordert, den rechtlichen Rahmen des Pariser Abkommens mit dem detaillierten Handlungsauftrag des GBF verschmelzen. Die Instrumente müssten sich nicht zuletzt im konkreten Auftrag annähern.
Der Kreis schließt sich – notwendig für diese Verschmelzung sei es, ressort- und abteilungsübergreifend zusammenzuarbeiten und „multidisziplinär transformativ“ zu denken, projektorientiert zu handeln, Monitoringsysteme abzustimmen.
Doch, sagt Streck, „wir denken immer nur klein-klein. Jeder bastelt vor sich hin“. Und dass das alles so viel kostet? Dieses Argument lässt Streck nicht wirklich gelten. Aktuelle Daten zeigten, „dass ein Nicht-Handeln beim Klimaschutz und verschleppte Klimamaßnahmen in Zukunft zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten führt.“ Ertragsausfälle in der Land- und Holzwirtschaft oder zerstöre Infrastruktur und Gebäude hätten auch ihren Preis.
Und die Kosten?
Streck erinnert an die klimainduzierte Flut im Ahrtal und an der Erft: „Sie war mit mindestens 40,5 Milliarden Euro Schäden das schadensträchtigste Extremereignis der deutschen Geschichte.“ Ihr zweites, ausführliches Beispiel ist der deutsche Wald. Die Hitze und Dürren der Jahre 2018 und 2019 kosteten die deutsche Land- und Forstwirtschaft rund 35 Milliarden Euro.
Je nach Stärke des Klimawandels werde im Zeitraum zwischen 2022 und 2050 ein negativer Effekt auf das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik Deutschland durch den Klimawandel von 280 bis 910 Milliarden Euro vorausgesagt.
Lösungen seien möglich, sagt die Referentin, durch strategische Aktionspläne, sektoral transformative Programme, Schaffung privater Investitionsanreize, indem man Indikatoren besser abstimmt und Förderinstrumente koordiniert.
Vor allem aber braucht es aus Sicht Strecks das Umdenken, das macht sie im Dialog mit einem engagierten Publikum deutlich: „Solange Wohlstand so definiert wird, dass wir ‚kaufenkaufenkaufen‘, haben wir ein Problem.“ Eine andere Definition für Wohlstand könne weiterhelfen. Eine artenreiche Zukunft bedeute Freiheit, davon ist Streck überzeugt, nicht Autofahren, wie die Industrie es uns glauben lassen möchte. Ihr abschließender Appell an die Studierenden: „Definiert die positive Zukunft!“
twa.
Links und Kontakt
Zusatzstudium "Nachhaltigkeit gestalten" an der Universität Regensburg
Über die Regensburg Lectures in Sustainability
Themenschwerpunkt “Sustainability” an der Universität Regensburg
Comments
No Comments