In einem neuen Projekt arbeiten der Landesbund für Vogelschutz (LBV) und die AG Molekulare Ökologie und Naturschutzgenetik am Lehrstuhl für Ökologie und Naturschutzbiologie der Universität Regensburg Hand in Hand, um bedrohten Pflanzenarten in der Natur wieder auf die Beine zu helfen und die Vorgehensweise gleichzeitig wissenschaftlich zu erforschen. Ziel ist es, zusätzliche Populationen von fünf gefährdeten und stark rückläufigen Pflanzenarten in LBV-Schutzgebieten anzusiedeln – begleitet von Wissenschaftlern und mit einem klaren Blick auf ihre genetische Variation. Denn Ansiedlung ist nicht gleich Ansiedlung – wichtig ist die Vorgehensweise! Sie entscheidet darüber, ob so viel genetische Variation erhalten bleibt, dass die Pflanzenpopulationen auch langfristig überleben können.

Was soll umgesetzt werden – und warum?

„Wir führen das Projekt gemeinsam mit dem LBV durch, einem der größten Naturschutzverbände in Bayern, der über 3500 Hektar eigene Schutzgebiete betreut“, erklärt Prof. Dr. Christoph Reisch, Leiter der AG Molekulare Ökologie und Naturschutzgenetik. „In diesen Gebieten wollen wir Populationen fünf gefährdeter Pflanzenarten durch gezielte Ausbringung ansiedeln, um die Arten zu stützen und so ihre langfristige Erhaltung zu gewährleisten.“

Welche Arten das sein werden, wird sich im Laufe des Frühjahrs herausstellen. In der engeren Auswahl sind unter anderem Pflanzenschönheiten wie die Buschnelke, der Lungenenzian oder das Gottes-Gnadenkraut. Die Vorgehensweise für die Ansiedlung umfasst dabei verschiedene Schritte: Zunächst wird aus bestehenden Spenderpopulationen Saatgut der Arten entnommen. Dieses wird in der am Lehrstuhl für Ökologie und Naturschutzbiologie bestehende Saatgutbank eingelagert und anschließend für zwei unterschiedliche Ansiedlungsstrategien verwendet: Ansaat von Samen versus Anpflanzung von Jungpflanzen. „Wir wollen auf diese Weise herausfinden, welche dieser Vorgehensweisen sich langfristig besser eignet – sowohl für den Erfolg der Ansiedlung als auch für den Erhalt der genetischen Variation der Arten“, so Reisch.

Zwei Methoden im Vergleich – Pflanzen oder Säen?

Um die Eignung der beiden Ansätze zu vergleichen, bringen Reisch und seine Kollegin Dr. Lina Begemann das Material auf sogenannten Empfängerflächen im Rasterverfahren aus – entweder direkt als Samen oder als vorgezogene Jungpflanzen.

Jede der fünf Pflanzenarten wird in fünf Schutzgebieten auf zwei Versuchsflächen à 5 × 5 Meter angesiedelt. Auf jeder Versuchsfläche werden dabei entweder 50 Samen ausgesät oder 50 Individuen ausgepflanzt. Das bedeutet, dass am Ende des Experiments insgesamt 2500 Individuen der untersuchten Arten angesiedelt sein könnten – jede Menge Daten also für die anschließende Analyse. 

„Wir führen ein systematisches Monitoring durch“, sagt Reisch. „Wir überprüfen in regelmäßigen Zeitabständen, welche Samenkörner gekeimt sind und welche Pflanzen dauerhaft überleben.“ Auf diese Weise lässt sich nicht nur der direkte Erfolg der Ansiedlung beurteilen, sondern auch die Stabilität der neu gegründeten Bestände.
 

Was ist eigentlich genetische Variation – und warum ist sie so wichtig?

Genetische Variation kommt dadurch zustande, dass sich die Individuen einer Art in ihrem Erbgut voneinander unterscheiden. Diese Unterschiede können sich auch äußerlich in den Eigenschaften der Individuen zeigen – beispielsweise in der Wuchsform oder der Reaktion auf Umweltbedingungen wie Dürre, Frost oder Hitze. Je größer die genetische Variation innerhalb einer Population, desto höher ist die Fitness und Anpassungsfähigkeit der Pflanzen. Damit steigt die Chance, dass zumindest ein Teil der Pflanzen mit Umweltveränderungen klarkommt.

„Genetische Variation ist die Grundvoraussetzung für das langfristige Überleben von Arten“, erklärt Reisch. „Wenn alle Pflanzen gleich wären und sich zum Beispiel das Klima ändert, sterben unter Umständen alle Individuen aus. Bei hoher genetischer Variation hingegen gibt es meist einzelne Individuen, die überleben – und damit die Art retten.“

Für den Naturschutz ist die genetische Variation ein Schlüsselfaktor. Der Erfolg einer Ansiedlung bemisst sich daher nicht nur an der Individuenzahl, sondern hängt auch vom genetischen Spektrum der neu gegründeten Populationen ab. „Sonst kann es sein, dass wir zwar kurzfristig Pflanzen in die Natur bringen, aber langfristig instabile, anfällige Bestände erzeugen“, warnt Reisch.

Zu geringe genetische Variation – ein Problem für Ansiedlungen?

Ansiedlungsprojekte starten oft mit wenigen Individuen – schlicht, weil schon die Spenderpopulationen meist sehr klein sind. Darum ist es in Projekten wie diesem besonders wichtig, dass das benötigte Saatgut von möglichst vielen unterschiedlichen Mutterpflanzen stammt. Ansonsten wird nur ein kleiner Teil des ursprünglichen Genpools erfasst. Das kann dann zu einem sogenannten Flaschenhals-Effekt führen: Die genetische Variation der angesiedelten Population ist zu gering, Inzucht droht, und die Anpassungsfähigkeit ist eingeschränkt.

Zusätzlich besteht das Risiko, dass schon bei der Pflanzenanzucht eine ungewollte Selektion passiert. Wenn nur die kräftigsten Jungpflanzen angezogen werden, geht genetische Vielfalt verloren – lange bevor die Pflanzen überhaupt in die Natur gelangen. Darum werden zur Bewahrung der Vielfalt alle Jungpflanzen unabhängig von ihrer Größe angezogen und ausgepflanzt.
Grundsätzlich müssen die Herkunft des Saatgutes und die Ansiedlungsorte genau dokumentiert werden. Nur so lässt sich später überprüfen, ob die Übertragung der genetischen Variation in die neue Population gelungen ist.
 

Genetisches Monitoring als innovativer Ansatz im Naturschutz

Einer der spannendsten Punkte des neuen Vorhabens ist das genetische Monitoring der Ansiedlungsmaßnahmen, ein Ansatz, der bisher so gut wie noch nie verfolgt wurde. Mithilfe moderner molekularbiologischer Methoden lässt sich klären, ob sich gesäte oder gepflanzte Ansiedlungspopulationen in ihrer genetischen Struktur unterscheiden. Das ist durchaus möglich, denn obwohl beide Ansätze dasselbe Ziel verfolgen, haben sie unterschiedliche Effekte.

Bei der Ansaat starten alle Samen im Freiland unter natürlichen Bedingungen – ohne menschliche Vorauswahl. Das erhöht die Chance, möglichst viele genetisch unterschiedliche Individuen zu erhalten. Gleichzeitig ist die Mortalitätsrate oft hoch.

Im Gegensatz dazu gibt es bei der Anpflanzung mehr Kontrolle und höhere Etablierungsraten. Doch schon in der Anzuchtphase kann unbeabsichtigt eine Selektion stattfinden – und damit genetische Variation verloren gehen.

„Wir machen genetische Analysen, um zu prüfen, ob sich die Zusammensetzung der Populationen unterscheidet – je nachdem, ob sie gesät oder gepflanzt wurden“, sagt Reisch. „Das Ziel ist, daraus allgemeine Empfehlungen für künftige Wiederansiedlungen abzuleiten.“

Naturschutzforschung in drei Bereichen

Die Arbeitsgruppe von Prof. Reisch versteht sich nicht als Umsetzer klassischer Naturschutzmaßnahmen, sondern führt Naturschutzforschung mit engem Praxisbezug in drei Kernbereichen durch:

1) Mit Blick auf die genetische Variation wird untersucht, welche Arten zurückgehen – und warum. 

2) Auswirkungen von Naturschutzmaßnahmen im Lebensraum, wie etwa Beweidung oder Mahd, werden auf die genetische Vielfalt analysiert. 

3) Auswirkung von Naturschutzmaßnahmen unter menschlicher Obhut, also beispielsweise in Erhaltungskulturen oder Saatgutbanken, werden auf die genetische Variation der Pflanzenarten untersucht.

„Unser aktuelles Projekt fällt ganz klar in die dritte Kategorie“, so Reisch. „Wir arbeiten mit Saatgutbanken und Vermehrungskulturen, um gefährdete Arten gezielt wieder ins Gelände zu bringen – und untersuchen, wie man das bestmöglich macht.“

Kann Wiederansiedlung tatsächlich funktionieren?

Die kurze Antwort von Christoph Reisch: Ja. Und es gibt Beispiele, die das eindrucksvoll zeigen – etwa die Frühlings-Küchenschelle (Pulsatilla vernalis), eine stark gefährdete Pflanze, die in Mitteleuropa drastisch zurückgegangen ist, so der Pflanzenforscher.
„Seit den neunziger Jahre führen die Naturschutzbehörden in der Oberpfalz und Niederbayern gemeinsam mit Praktikern ein Artenhilfsprogramm zur Stützung dieser Art mittels Ansiedlungen durch“, berichtet Reisch. Dafür wurden Pflanzen aus lokalem Saatgut angezogen und in bestehende Populationen eingebracht.

Das vor einiger Zeit von der AG Molekulare Ökologie und Naturschutzgenetik durchgeführte Monitoring zeigt deutlich positive Effekte: Die Anzahl der Individuen stieg von 290 auf 1368 – also mehr als das Vierfache. Die genetische Vielfalt blieb erhalten, ebenso die Fitness der Pflanzen. „Die eingepflanzten Individuen unterschieden sich kaum von den Wildpflanzen – weder in der Morphologie noch in der genetischen Ausstattung“, sagt Reisch.
 

Fazit: Hoffnung für gefährdete Arten

Ansiedlungsmaßnahmen seien kein Allheilmittel, so Reisch. Die Erhaltung intakter Populationen im natürlichen Lebensraum hätten absolute Priorität. Aber sie könnten – richtig gemacht – ein wirksames Werkzeug im modernen Naturschutz sein. Besonders bei Arten, deren Restbestände so klein seien, dass Lebensraumschutz allein nicht mehr reiche.

„Früher hat man Ansiedlungen eher skeptisch gesehen“, sagt Reisch. „Aber heute wissen wir: Gerade bei stark bedrohten Arten kommen wir ohne sie oft nicht mehr aus. Die Frage ist nicht mehr, ob wir das tun – sondern wie wir es richtig tun.“
Das Projekt mit dem LBV soll Antworten auf genau diese Frage geben. Und zeigt, wie eng Praxis und Forschung zusammenarbeiten müssen, um den Verlust unserer Pflanzenvielfalt aufzuhalten.
 

Was ist eine Population – und warum spielt sie im Naturschutz eine wichtige Rolle?

In der Ökologie ist eine Population eine Gruppe von Individuen derselben Art, die in einem bestimmten Gebiet vorkommen und sich miteinander fortpflanzen – also zum Beispiel alle Frühlings-Küchenschellen, die an einem Standort wachsen und sich dort miteinander vermehren.

Populationen sind in der Natur oft voneinander getrennt – durch größere Entfernungen und natürliche oder vom Menschen geschaffene Hindernisse (Berge, Flüsse, Straßen, Siedlungen). Das bedeutet, dass sie sich eher selten oder manchmal auch gar nicht mit anderen Populationen derselben Art austauschen. Genau deshalb entwickeln sich Populationen oft unterschiedlich – sie passen sich also an die Standortbedingungen (Klima, Boden, Landnutzung) an.

Warum ist das wichtig im Naturschutz?

Der Schutz einer Art kann nur dann erfolgreich sein, wenn möglichst viele verschiedene Populationen erhalten bleiben – mit ihrer jeweils eigenen genetischen Ausstattung. Denn jede Population trägt einen Teil zu der genetischen Vielfalt bei, die für das langfristige Überleben der gesamten Art wichtig ist.
 

Kontakt

Prof. Dr. Christoph Reisch
Naturschutzgenetik
Institut für Pflanzenwissenschaften
Universität Regensburg
Tel:  0941 943-3131
E-Mail: christoph.reisch@ur.de

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