Wie viel Wissenschaft steckt in Politik?

Die Klimakrise ist kein Erkenntnisproblem. Wir WOLLEN nicht glauben, dass das Leben auf unserer Erde, dem blassen blauen Pünktchen im Sonnensystem, für sehr viele unerträglich wird, wenn wir nicht angemessen handeln. Professor Dr. Klaus Richter, Spitzen-Physiker an der Universität Regensburg (UR) und Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), ist kein Lobbyist, sondern Naturwissenschaftler. Er betreibt Grundlagenforschung und weiß, dass den Ursachen der Klimakrise rational begegnet werden muss: „Es geht um Naturgesetze, nicht um Meinungen.“ Doch wie in die Gesellschaft so hineinwirken, dass man das endlich zur Kenntnis nimmt? 

Darüber sprachen Klaus Richter, der Wirtschaftsökonom Professor Dr. Andreas Löschel, Inhaber des Lehrstuhls für Umwelt-/ Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum und Dr. Leonard Burtscher vom Umweltinstitut München e. V. mit Pauline Drexler, Doktorandin der Physik an der UR, bei der Podiumsdiskussion „Wie viel Wissenschaft steckt in Politik?“ im Rahmen des Young Colloquium an der Fakultät für Physik der UR am 20. Januar 2025.

Klima und Grundlagenforschung

Forschende müssen sich aus ihrer Disziplin heraus engagieren und ihr Wissen vermitteln – daran lässt das Podium keinen Zweifel. Bei einem so brisanten Thema wie der Klimakrise müssen es aus Sicht Richters auch die Vertreterinnen und Vertreter der Physik sein. Denn Wissenschaftskommunikation im allgemeinen und „Klimakommunikation“ sind wichtiger denn je geworden.

Die Stühle im Auditorium des RUN – Zentrum für Ultraschnelle Nanoskopie an der Universität Regensburg reichen nicht, als die Veranstaltung beginnen soll. An die 130 Personen, mehrheitlich Studierende und Early-Career-Scientists der Fakultät erleben eine Veranstaltung, die auch im Audimax stattfinden und alle Fakultäten einbeziehen könnte.

Denn: Es geht nicht „nur“ um die Herausforderung für die Grundlagenforschung, zum Klima-Thema in Entscheidungsgremien gehört zu werden, es geht in den kommenden Jahren vermutlich auch darum, ob die sich weltweit verändernden Weltanschauungen und Wertungen weiterhin für wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse offenbleiben.

Es geht ums Überleben der menschlichen Zivilisation.

Lassen sich Klimaziele überhaupt halten in diesen Zeiten? Alternativen gibt es nicht. „Es geht nicht um Eisbären“, sagt Leonard Burtscher, Umweltlobbyist aus München, u. a. Mitbegründer der „Astronomers for Future“. „Es geht um das Überleben der menschlichen Zivilisation.“ Wer das weiß, so der Anspruch auf dem Podium, muss dazu auch etwas sagen (können). Es bleibt unbequem an diesem Tag.

Wirtschaftswissenschaftler Löschel, der sich unter anderem mit umweltökonomischen Themen beschäftigt und an den Sachstandsberichten des Weltklimarates mitwirkt, erinnert daran, dass die Menschen und ihre Art zu leben das Klima verändert haben. Sie verändern es weiterhin. 

Doch wie geht die Gesellschaft mit dem sogenannten anthropogenen Treibhauseffekt um? Wie WILL sie mit ihm umgehen? 

„Ökonomische Perspektiven sind verwoben mit gesellschaftlichen Werten“, sagt Löschel: „Die Bewertung wird schwierig.“  Er sieht in der öffentlichen Diskussion das Problem, „Dinge in der Breite darzustellen“. Die Wissenschaft stehe der Herausforderung gegenüber, „Entscheidungsgrundlagen zu liefern“ und robuste Erkenntnisse aufzuzeigen.

Klima? Kein neues Thema.

Leonard Burtscher erinnert das Publikum mit dem berühmten Bild des „Pale Blue Dot“ der Voyager-1-Sonde der NASA, dass das Universum fast leer ist. Und dass wir nur diesen einen Planeten haben. Die Erde hat längst begonnen uns Parasiten abzuschütteln, und trotzdem gibt es Skeptiker und Leugnerinnen der Klimakrise.

Dennis Meadows fällt mir ein, sein Buch „Grenzen des Wachstums“, ein Klassiker der 1970er Jahre. In den 1980ern schwappte das Thema an den bundesdeutschen Unis in die Gesellschaftswissenschaften, erstmals zogen „die Grünen“ in den Deutschen Bundestag ein. Umweltpolitik wurde zum Forschungsgegenstand, bald stritt man darüber, wem sie zu verdanken war. In den 2020er Jahren hat „die letzte Generation“ von sich Reden gemacht, Schulkinder haben sich freitags auf den Straßen getroffen und mit der Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg ihre Zukunft thematisiert.

Im Idealfall muss die Politik das Thema Klima endgültig und parteiübergreifend zur Kenntnis nehmen. Doch wie lässt sich das erreichen?

Es braucht mehr Klimakommunikation.

Wie bringe man Abgeordnete zunächst einmal generell dazu, Tausende von Seiten Klimaberichte zur Kenntnis zu nehmen, fragt Moderatorin Drexler. Das Podium trägt zusammen: Forschende werden zu diesem und anderen Themen in Ausschüssen gehört, in Ministerien zum Austausch geladen, stehen in Kontakt zu Abgeordnetenbüros. Sie wirken an gemeinschaftlichen wissenschaftlichen Plattformen mit, äußern sich im Verbund von Wissenschaftsakademien, etwa im Projekt „Energiesystem der Zukunft“.

Sie müssen aber eigentlich noch viel öfter sagen, was sie wissen, denn noch vertraut man ihnen über Ländergrenzen hinweg. Richters Beweis ist eine im Januar 2025 veröffentlichte Studie im international renommierten Fachmagazin Nature Human Behaviour: Forschende haben entsprechende Stimmen in 68 Staaten vernommen. 

Die Studie macht auch deutlich, dass die Zivilgesellschaft es erwartet, dass Forschungsergebnisse den Weg zu den Entscheidungsträgerinnen und Politikern finden.

Cologna, V., Mede, N.G., Berger, S. et al. Trust in scientists and their role in society across 68 countries. Nat Hum Behav (2025). https://doi.org/10.1038/s41562-024-02090-5

Science is crucial for evidence-based decision-making. Public trust in scientists can help decision makers act on the basis of the best available evidence, especially during crises. However, in recent years the epistemic authority of science has been challenged, causing concerns about low public trust in scientists. We interrogated these concerns with a preregistered 68-country survey of 71,922 respondents and found that in most countries, most people trust scientists and agree that scientists should engage more in society and policymaking. (…)

Knowhow verknappen ist große Kunst.

Die Menschen schätzen es, wenn Wissenschaftlerinnen und Forscher in die Gesellschaft hinein kommunizieren. Sie werden als unparteilich wahrgenommen, man traut ihnen Problemlösung zu. Doch die große kontinuierliche Herausforderung ist der Transfer in den politischen Entscheidungsfindungsprozess hinein. Es geht um gekonnte Vermittlung des Wissens: Spezielles Knowhow zitierfähig zu verknappen ist eine hohe Kunst. Auch hier ist sich das Podium einig.

Burtscher sieht Einrichtungen wie seine, die sich auch als Thinktank begreifen, in der Pflicht, zum „Übersetzungsprozess“ beizutragen: Zum Tagesgeschäft gehöre es für ihn und sein Institut, umfangreiche Studien zu lesen, sie auf ein bis zwei Seiten aufzubereiten und an die Büros der Abgeordneten weiterzugeben. Dafür brauche es Anwendungsbeispiele wie E-Autos oder Radfahren, denn die Dinge müssen verpackt werden. Abgeordnete haben mit vielfältigen Gesetzespaketen zu tun, sagt Burtscher, oft auch nicht das „Lieblingsfeld der Politiker“. Sie können nicht in allen Feldern über Expertise verfügen.

Wissenschaftlerinnen und Forscher lösen komplexe Probleme.

Klaus Richter, seit neun Monaten Vorsitzender der größten physikalische Fachgesellschaft der Welt mit 52.000 Mitgliedern, fordert mehr Einflussnahme von Wissenschaftlern und Forscherinnen weltweit. Denn die Klimakrise ist ein komplexes Problem, und komplexe Probleme zu lösen sei das Kerngeschäft von Wissenschaftlerinnen und Forschern. 

Der vielfach ausgezeichnete Physiker erinnert daran, wie er und seine Kolleginnen und Kollegen über Ehrenämter wirken: Forschende tragen zu akademischer Selbstverwaltung bei, unterstützen Begutachtungen, repräsentieren ihr Fach in Schulen ebenso wie in der Industrie oder auf dem internationalen Parkett: „Sciences bridges cultures“, die Wissenschaft unterstützt Austausch – überall, auf allen Niveaus, erklärt Richter. „Wir benötigen eine informierte Gesellschaft“, sagt der Physiker, und verweist darauf, dass es im Jahr 2030 eine dramatische Lücke von Physik-Lehrkräften geben wird.

Dem „enormen Grundrauschen an Informationen“, dem Politikerinnen und Politiker ausgesetzt sind, will er damit begegnen, dass die Wissenschaft auf wenige Themen setzt, dass „wir sie über verschiedene Kanäle spielen und uns zusammentun“, mit Biologinnen, Chemikern und Mathematikern beispielsweise: Schriftlich in mehrjährigen Studien, in Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben des Deutschen Bundestags. Ergänzend brauche es prägnante und faktenbasierte Verlautbarungen. Die DPG informiert in ihrer Berliner Hauptstadtrepräsentanz und  bei parlamentarischen Abenden, etwa zum Thema Kernfusion.

Expertise und Wertvorstellungen

Letztlich gehe es immer um gesellschaftspolitische Entscheidungen, sagt Richter. Löschel betont die Rolle der Medien bei der Befragung von Expertinnen und Experten: Ob die zu verschiedensten Themen Befragten auch wirklich zu einer bestimmten Problematik etwas zu sagen haben, das lasse sich für das TV-Publikum schwer einschätzen. Die Presse müsse genau hinschauen, wen sie zitiere, wen sie einlade. Davon ist auch Burtscher überzeugt. 

Schließlich: Es gehe immer auch um die Werte-Vorstellungen der Menschen und damit wieder um geeignete Kommunikation. Denn „wenn ich ‚die Grünen‘ nicht mag, kaufe ich keine Wärmepumpe“. Dann hilft auch das Schließen von Wissenslücken nicht weiter.

Ökonom Löschel fordert, Vorteile, „Win-Win“ aufzuzeigen. Doch beim Klimawandel sei dies besonders herausfordernd, denn „Kosten und Nutzen fallen maximal auseinander“.  Weil der Norden die Kosten und der Süden den Nutzen trägt, könne sich auch die Fossil-Lobby mit durchschlagendem Erfolg behaupten, glaubt Burtscher. Für Richter ist klar: „Was jetzt passiert, wirkt sich erst in zehn Jahren richtig aus.“ Doch das Thema Klima rückt nach hinten, wenn es Kriege gibt.

Die Physik, sagt Richter abschließend und eindringlich, darf sich umfassend und selbstbewusst zum Thema Klimawandel äußern – ihre Aussagen basieren auf den Naturgesetzen. Vielleicht müsse man bereits im Physik-Studium lehren, wie man komplexe Themen verständlich formulieren und kommunizieren kann. Das Young Colloquium ist vielleicht ein erster Schritt in diese Richtung.

#Show your stripes by Ed Hawkins

Das Klima visualisiert: Temperaturwandel auf der Erde.

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