Dass die Präsidentschaftswahlen in den USA ein so eindeutiges Ergebnis haben würden, hat selbst erfahrene Expertinnen und Kenner Amerikas überrascht. Was bedeutet die Wiederwahl Donald Trumps für die USA und Europa? „Trumpft die Demokratie?“ fragten der Leibniz-WissenschaftsCampus (LWC), eine gemeinsame Einrichtung von Universität Regensburg und Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS), sowie das Evangelische Bildungswerk Regensburg (EBW) e. V. am 14. November in einer Podiumsdiskussion mit Volker Depkat, Carsten Lenk, Timothy Nunan und Cindy Wittke. Ein Fazit des Abends: „Make America Great Again“ ist zu einer Volksbewegung geworden und Konservatismus muss neu gedacht werde. Ein anderes: Donald Trump wird den amerikanischen Staat autoritär umbauen. Europa muss sich dringend und stärker positionieren.

Ein überraschendes Ergebnis

Gastgeber und Moderator Dr. Carsten Lenk, Geschäftsführer des EBW, begrüßte gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Direktor von LWC und IOS, Professor Dr. Ulf Brunnbauer, ein ebenso bunt gemischtes wie generationenübergreifendes Publikum im bis auf den letzten Platz gefüllten Bonhoeffer-Saal des EBW. Mit Lenk diskutierten Professor Dr. Volker Depkat (UR, Amerikanistik), Professor Dr. Timothy Nunan (UR, DIMAS, Transnationale Wissenskulturen) und Dr. Cindy Wittke (IOS und Bayerische Wissenschaftsallianz für Friedens-, Konflikt- und Sicherheitsforschung). Dass Donald Trump die “popular vote”, die Mehrheit der Stimmen aller Amerikanerinnen und Amerikaner, gewinnen würde, dass es in den so genannten “swing states” überhaupt kein Gerangel um die Wahlleute geben würde - das hat alle überrascht. 
 

Wird die amerikanische Demokratie Trump überleben?

Historiker Volker Depkat skizziert auf Bitte Lenks, worauf die Gründungsväter setzten und was das politische System der USA bis heute prägt. Die Stichworte sind Gewaltenteilung und Föderalismus, eine Kultur des Kompromisses, der Partizipation, der Traditionsverbundenheit - und eine Vielzahl ungeschriebener Regeln, die Trump an vielen Stellen bricht. Trotzdem. Es sei ein stabiles System, sagt Depkat, das sich immer wieder gewandelt habe. Ein System, das bewusst so gestrickt sei, dass es auch problematische Persönlichkeiten im Weißen Haus überleben könne. 
Trump wird dieses Weiße Haus und die US-amerikanische Politik umbauen. Er hat, anders als 2016, nun Erfahrung auch im Hinblick auf mögliche rechtliche Konsequenzen. Zudem wird ihm Immunität garantiert. Was Depkat dennoch umtreibt: „Wir dachten, das war jetzt das letzte Hurra des alten weißen Amerika.“ Doch Trump unterstützt eine Art „integrativer Volksbewegung“, die offenbar vielen Menschen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Einkommen, eine politische Heimat bietet. Vielleicht „die Wählerschaft der Zukunft“. Timothy Nunan teilt diese Einschätzung, vermutet, dass die ganze Republikanische Partei von der MAGA-Stimmung übernommen worden sei. Das Wahlergebnis zwinge dazu, Konservatismus neu zu denken. „Der Trumpism ist der Mainstream der US-amerikanischen Politik geworden.“  
 

Der Staat als Großkonzern, Frieden als Deal

Der „Trumpism“ wird für Europa und die Welt auch in Sicherheitsfragen spürbar werden. Donald Trump denke den Staat als Großkonzern, sagt Cindy Wittke, spreche von Deals, nicht von Verhandlungen oder Abkommen, glaube, er könne den Krieg in der Ukraine dadurch beilegen, dass er die Kerle mal an einen Tisch setzt („sit the guys down“). Russland werde dem nicht so einfach folgen, vermutet die Politikwissenschaftlerin, denn Trumps Team gehe von der falschen Grundannahme aus, dass Russland Frieden wolle. 
Die Maßgabe Joe Bidens, der die Ukraine am Tisch wollte, wenn die Ukraine auf dem Tisch liegt, teilt Trump nicht. Aber wie soll ein Diktatfrieden halten? Wird die NATO die Ukraine weiterhin unterstützen? Werden die USA sich zurückziehen? Bleibt Europa stabil? Offene Fragen. Man wisse lediglich: Auch das Völkerrecht spielt nach Regeln, die zu brechen ein Team Trump sich nicht scheue. Darin sieht Wittke die große Gefahr. Denn dass eine regelbasierte Rechtsordnung transnational greift und das System resilient gegen Störende ist, setzt voraus, dass kein Autoritarismus erstarkt. Genau das aber ist zu erwarten. Europa sei so fragil wie selten zuvor, sagt Wittke.  
 

Was nun, Europa?

Ein wenig ist dieses Europa aber wohl auch selbst daran schuld. In den Balkankriegen habe man versagt, sagt Depkat, die USA hätten befriedet und in Europa viel Geld in die Verteidigung gesteckt, während man sich in Europa darüber lustig machte, dass die Amerikaner keine Krankenversicherung hätten. Das Lachen des Publikums klingt ein wenig bitter. Aus dem Publikum kommt die Frage, ob das Podium eine wie auch immer geartete realistische Chance sehe, dass Europa trotz allem gestärkt aus der aktuellen Situation hervorgehen könne. 
Immerhin habe es jetzt genug Möglichkeiten, sich auf sich selbst zu besinnen, lautet die Antwort: in Verteidigungsfragen, in seinem Integrationsanspruch, in Bezug auf Umweltschutz und Themen wie die E-Auto-Industrie. Vor allem auch in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, betont Wittke, wo die EU als geopolitische Akteurin interpretiert werde, aber Chancen vergebe, weil sie sie sich ausschließlich als Softpower und wertetransportierend präsentiere. Russland und seine Führung werden anders wahrgenommen: Es sei unmissverständlich, „was man von Russland hat“. Oder eben nicht.
 

Again: It’s the economy, stupid!

Ein Dealmaker wie Trump, glaubt Nunan, könnte ein Eigeninteresse daran haben, bestimmte Dinge zu unterstützen. Auch Depkat glaubt, dass Trump auf der Suche nach Dealpartnern Europa nicht aktiv spalten werde. Doch Politikerinnen und Politiker, die Trumps Team ideologisch nahestehen, heißen Farage, Orban oder Le Pen. Doch: „Unter Trump ging es mir gut“, sei ein oft gehörter Satz in den USA, berichtet Depkat. Viele glaubten, ein Business-Tycoon wie Trump wisse, wie man Wirtschaft mache, „how to run the economy“.
Zahlreiche Wählerinnen und Wähler gaben in den Umfragen nach den Wahlen hohe Preise und ihre schwierige wirtschaftliche Situation als Grund für ihre Wahlentscheidung an. In den USA würden Wahlen immer wieder durch so genannte “single issues” entschieden, bestimmte Einzelthemen, wie Abtreibung oder jetzt eben die Wirtschaft, erklärt Depkat. Amerikanische Wählerinnen und Wähler, müssen sich, anders als zum Beispiel in Deutschland, auch individuell darum kümmern, dass sie wählen gehen können und sich selbst registrieren. Die Wahlbenachrichtigung kommt nicht einfach per Post ins Haus. 
 

Die Gesellschaft driftet auseinander

Im Publikum schwelt die Frage, ob das amerikanische System nicht doch versagt habe und der Wert der amerikanischen Verfassung schwinde, wenn der Kandidat, der seine Niederlage nicht anerkannt habe, der den Sturm auf das Weiße Haus initiiert habe, nun in jeder Hinsicht an der Justiz vorbeimarschiere und sich ihr entziehe. 
Ein wenig, so scheint es, fehlen auch auf dem Podium die Antworten. Eigentlich hätten die Gerichte gehandelt. Doch „die Amerikaner können sich nicht einigen, in welcher Wirklichkeit sie leben.“ Tatsächlich hätten viele Amerikanerinnen und Amerikaner den 6. Januar als legitimen Aufstand gegen einen Staat interpretieren, der ihnen die Wahl gestohlen habe. Depkat geht davon aus, dass die für den Sturm auf das Weiße Haus Verurteilten begnadigt werden. Eine Aufarbeitung der Ereignisse habe nicht stattgefunden. Die Polarisierung in der amerikanischen Gesellschaft nehme zu, es gebe keine gemeinsam akzeptierten Foren mehr: „Wenn Sie FoxNews und die New York Times vergleichen, scheinen sie nicht aus der gleichen Welt zu berichten“, sagt Depkat.
 

Die Agenda 2025

Müssen wir uns auf eine autoritäre US-Präsidentschaft auf Lebenszeit einstellen? fragt Lenk abschließend. Trump habe die “popular vote” gewonnen, sagt Nunan: „Das verschafft ihm Legitimität, er muss die Wahlen nicht abschaffen“. Doch Project 2025 steht im Raum: Der Projektplan zur Umgestaltung der Exekutive der US-Bundesregierung im Fall eines Siegs der Republikanischen Partei bei den Präsidentschaftswahlen. Dieser Plan geht auf die Heritage Foundation, eine US-amerikanische nationalistisch-konservative Denkfabrik, zurück. 
Mit Umsetzung dieser sog. „Agenda 2025“ werden Deportationen unterstützt, Handelskriege befeuert, das Justizsystem umgebaut, warnt Wittke. Die Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses machten es Trump zudem künftig deutlich leichter, seine Gesetzesvorhaben durchzusetzen. Wittke erwartet auch außenpolitisch eine „intransparente und irrlichternde Regierung“. Nunan, der die Agenda als ein „ein ideologisches Projekt und kurioses Ding“ mit vielen Widersprüchlichkeiten beschreibt, verweist darauf, dass der Plan nicht von einer homogenen Instanz verfasst, sondern von rivalisierenden Interessengruppen geschrieben worden sei. Er plädiert für Abwarten. Ein wenig gilt das im November 2024 für alle offenen Fragen zur weiteren Entwicklung der USA.

© Universität Regensburg | Text: Tanja Wagensohn


 

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