Dr. Sebastian Frank ist Psychologe und forscht an der Fakultät für Humanwissenschaften der Universität Regensburg mit seiner Emmy Noether-Gruppe an den neuronalen Mechanismen des Lernens bei Grundschulkindern. Seine Arbeit konzentriert sich dabei auf die Frage, warum Kinder anders als Erwachsene lernen.

Für seine herausragende Forschung wurde Dr. Frank mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Hector Research Career Development Award. Kürzlich erhielt er ein Stipendium der Daimler und Benz Stiftung, das Forschende in frühen Karrierephasen mit einer Unterstützung von 40.000 Euro über zwei Jahre fördert.

Dr. Franks Vision ist es durch seine Forschung langfristig neue Ansätze zu entwickeln, um Lernprozesse zu verbessern, und zwar sowohl bei Kindern mit Lernschwierigkeiten als auch bei Erwachsenen mit beginnender Demenz. Wir haben nachgefragt.

Herr Dr. Frank, können sich Kinder leichter Wissen aneignen als Erwachsene?

Oft wird angenommen, dass Kinder mehr Gehirnplastizität besitzen und dadurch auch leichter lernen können als Erwachsene. Diese Annahme hat große Auswirkungen auf die Gestaltung von Bildungsprozessen, zum Beispiel in der Schule. Wenn man die Literatur aber genauer ansieht, gibt es hierzu erstaunlich wenig neurowissenschaftliche Forschung. Deshalb haben wir uns dem Thema gewidmet. 

Wie untersuchen Sie das?

Wir nutzen das Modell des visuellen Wahrnehmungslernens, um zu testen, ob es tatsächlich so ist, dass sich Kinder neue Lerninhalte leichter aneignen können als Erwachsene. Dazu nutzen wir visuelle Lernaufgaben zur Erkennung visueller Orientierungen oder Bewegungsrichtungen.  Diese Aufgaben sind anfangs sehr schwierig, aber wenn man sie trainiert, wird man immer besser, weil ein Lernprozess stattfindet. Unsere Versuchspersonen führen die Aufgaben durch, während wir ihre neuronale Aktivität im Okzipitallappen, also dem Teil des Gehirns, der für visuelle Verarbeitung zuständig ist, im Magnetresonanztomographen (MRT) messen.

Was haben Sie bisher herausgefunden?

Unsere bisherigen Studien zeigen, dass Kinder mehr lernen können als Erwachsene. Das ist allerdings nicht immer etwas Positives. Sie lernen nicht nur das, was sie lernen sollen oder wollen, sie lernen stattdessen alles, was im Kontext einer Lernaufgabe präsentiert wird, und das können auch ganz irrelevante Reize sein. Dies führt dazu, dass Lernen bei Kindern weniger spezifisch stattfindet als bei Erwachsenen.

Lernen Kinder auch schneller?

Ja, wir haben auch gesehen, dass Kinder schneller lernen können als Erwachsene. Dies hängt damit zusammen, dass neuronale Prozesse, die für Lernen wichtig sind, insbesondere die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten, bei Kindern schneller und effizienter stattfinden als bei Erwachsenen. 

Was ist mit „Konsolidierung von Gedächtnisinhalten“ gemeint?

Damit ist der Prozess gemeint, bei dem neu erlernte Informationen von einem anfänglich instabilen Zustand in eine stabilere, dauerhafte Gedächtnisspur überführt werden. Die daran beteiligten Prozesse finden sowohl im Wachzustand als auch im Schlaf statt. Bei Kindern verläuft die Konsolidierung viel schneller und ausgeprägter als bei Erwachsenen. Dadurch können sie rascher hintereinander neue Inhalte abspeichern.

Sie haben herausgefunden, dass GABA dabei eine zentrale Rolle spielt. Können Sie das genauer erklären?

Wir haben bei Kindern und Erwachsenen im MRT gemessen, wie sich die Konzentration des inhibitorischen Neurotransmitters GABA während des Lernprozesses verändert. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der GABA-Spiegel im Okzipitallappen bei Kindern während des Lernens und danach sehr schnell und stark ansteigt, bei Erwachsenen gibt es hingegen nur einen sehr leichten Anstieg. GABA spielt eine zentrale Rolle bei der Konsolidierung, das wussten wir bereits aus Tiermodellen. Wir schließen deshalb aus unseren Ergebnissen, dass Kinder aufgrund dieser ausgeprägten GABA-Reaktion in der Lage sind, das Gelernte schneller zu konsolidieren und sie sich dadurch auch schneller neue Lerninhalte aneignen können. Erwachsene hingegen zeigen einen langsameren Anstieg von GABA, was den Konsolidierungsprozess langsamer und das Lernen weniger effizient macht.

Was bedeutet das für die Praxis?

Zum einen sollte man die Lernfähigkeit von Kindern niemals unterschätzen. Das Gehirn von Kindern ist für Lernen optimiert, das sollte man in der Schule auch nutzen und Kinder mit vielseitigem Lernmaterial stimulieren, weil sie ein großes Potenzial haben, das Wissen aufzunehmen.

Man sollte aber gerade bei Kindern irrelevante Reize zum Beispiel durch Handys oder andere Störfaktoren reduzieren, weil diese für sie viel massivere Folgen haben können als für Erwachsene. 

Und wie profitieren Erwachsene von Ihren Forschungsergebnissen?

Es gibt interessante Studien an Erwachsenen, die eine Aufgabe trainieren. Wenn sie so viel geübt haben, dass sie ein Plateau erreichen und eigentlich nicht mehr besser werden können und trotzdem weiter üben, kommt es zu einer verstärkten inhibitorischen Verarbeitung in ihrem Gehirn, ähnlich wie bei Kindern. Zusammen mit unseren Ergebnissen lässt sich daraus folgern, dass diese Art des Übertrainierens von Erwachsenen genutzt werden kann, um das Gelernte besser zu konsolidieren. Anders als Kinder benötigen Erwachsene dafür aber ein Übertrainieren. Intuitiv machen das Profis wie etwa Musikerinnen und Musiker ja schon immer, da sie Stücke immer weiter üben, auch wenn sie sie eigentlich bereits perfekt beherrschen.

Wieso verändert sich die Schnelligkeit der Konsolidierung zwischen Kindheit und Erwachsenenalter?

Darauf haben wir leider noch keine Antwort. Vermutlich kommt es zu diesen Veränderungen in der Pubertät, aber der genaue Mechanismus ist bisher noch nicht verstanden. 

Was ist das Besondere ihrer Forschung?

Wir befinden uns in einem Zentrum aus drei Fachrichtungen: 

1) die kognitiven Neurowissenschaften liefern uns wichtige Methoden und theoretische Konzepte, wie man das Gehirn verstehen kann. 

2) die Entwicklungspsychologie liefert uns unsere zentrale Fragestellung: wie verändern sich Lernprozesse über die Lebensspanne und warum?

3) die Pädagogik gibt uns eine Vision für die Anwendung:  Welche Implikationen haben die Ergebnisse für Bildungsprozesse? 

Wie geht es jetzt weiter?

Unsere Hoffnung ist, dass wir Verfahren entwickeln können, mit denen wir Lernprozesse in verschiedenen Altersgruppen stärken können. Dies gilt besonders für diejenigen, die sich mit Lernen schwertun. Lernschwierigkeiten können in allen Lebensabschnitten auftreten. Ein Schwerpunkt unserer aktuellen Forschung sind Kinder mit Lernschwächen und Erwachsene mit einer beginnenden Demenz. Wir hoffen, dass wir Trainingsverfahren entwickeln können, die Gehirnplastizität gezielt stimulieren und dadurch Lernprozesse für die Betroffenen erleichtern. 

GABA

GABA ist die Abkürzung für Gamma-Aminobutyric Acid. Im deutschen Sprachraum wird sie auch als Gamma-Aminobuttersäure bezeichnet. Sie ist ein wichtiger hemmender Neurotransmitter im Gehirn und für Lernprozesse von entscheidender Bedeutung. GABA moduliert die Aktivität neuronaler Netzwerke, die in das Erlernen einer Aufgabe involviert sind, und trägt dadurch zur Konsolidierung des Erlernten bei. 

Kontakt

Sebastian Frank, Ph.D.
Universität Regensburg
Humanwissenschaften
Institut für Psychologie
E-mail: sebastian1.frank@psychologie.uni-regensburg.de 
www.uni-regensburg.de/human-sciences/emmy-noether-group/home/index.html

Comments

No Comments

Write comment

* These fields are required