Präziser Pflanzenschutz: Zielgenau und biologisch abbaubar

Die Landwirtschaft steht heute vor gewaltigen Herausforderungen: Der Klimawandel verändert Wachstumsbedingungen, neue invasive Arten bedrohen Ernten, und viele Schädlinge entwickeln Resistenzen gegen gängige Mittel.
Gleichzeitig wächst der gesellschaftliche Druck, die Umweltbelastung durch chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel zu verringern. In dieser Situation rückt eine vielversprechende Innovation in den Fokus: zirkuläre RNA (circRNA) – ein biotechnologischer Ansatz, der Schädlinge gezielt bekämpfen und dabei Boden, Wasser und Biodiversität schonen könnte.
Ein interdisziplinäres Team der Universität Regensburg unter Leitung von Dr. Timo Schlemmer arbeitet im Projekt ciRcNApp an dieser neuen Generation von Pflanzenschutzmitteln. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 800.000 Euro über drei Jahre gefördert. Ziel ist es, circRNA als neuartige Wirkstoffklasse mit hoher Selektivität und biologischer Abbaubarkeit zu etablieren.
Wir haben mit Dr. Timo Schlemmer, Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Regensburg und Florian Stokom, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement der Universität Regensburg gesprochen und das wichtigste aus dem Gespräch mitgebracht.

Was zirkuläre RNA besonders macht
RNA (Ribonukleinsäure) ist ein molekularer Informationsträger, der in lebenden Zellen vor allem dafür sorgt, dass genetische Informationen in Proteine übersetzt werden. Bekannt wurde insbesondere die RNA durch die COVID-19-Impfstoffe. Doch es gibt viele verschiedene RNA-Typen.
Relativ bekannt ist die sogenannte mRNA (messengerRNA), die Informationen für die Herstellung von Proteinen in Zellen überträgt. Sie ist fadenförmig. Die zirkuläre RNA ist ringförmig, hat also keine offenen Enden, sondern bildet einen geschlossenen Ring. Diese ringförmige Struktur schützt das Molekül davor, schnell von Enzymen abgebaut zu werden – ein vielversprechender Vorteil für den Einsatz in der Umwelt.
Während herkömmliche RNA oft nur kurze Zeit wirken kann, bevor sie abgebaut wird, bleibt circRNA deutlich länger stabil und funktionsfähig, was die Effektivität auf dem Feld steigern kann.
Wie circRNA im Pflanzenschutz funktioniert
Die Technologie basiert auf einem einfachen Prinzip: Die zirkuläre RNA enthält genetische Informationen, die entweder:
- bestehende Gene in Schädlingen blockieren (Antisense-Strategie) oder
- neue, Schädlings-wirksame Proteine kodieren (kodierende RNA).
Beispiel 1: Gen-Blockade
Bei der Antisense-Anwendung bindet die circRNA an die mRNA des Schädlings – also an die Moleküle, die Informationen für die Herstellung von Proteinen in der Zelle übertragen – und verhindert so die Produktion des jeweiligen Proteins. So wird die Bildung überlebenswichtiger Proteine unterbunden. Das kann gezielt die Entwicklung von Insekten wie dem Kartoffelkäfer oder anderen Schaderregern unterbrechen.
Beispiel 2: Neue Funktionen einschleusen
Alternativ kann die RNA so gestaltet werden, dass sie in den Zellen eines Schädlings beispielsweise ein Protein des Bakteriums Bacillus thuringiensis produzieren lässt, das dort toxisch wirkt – ein Konzept, das bereits in der biologischen Schädlingsbekämpfung genutzt wird.
Die Vorteile gegenüber chemischen Pflanzenschutzmitteln
CircRNA-basierte Wirkstoffe wirken hochspezifisch – sie lassen sich so designen, dass sie nur eine bestimmte Art oder Artengruppe treffen, während andere Arten, darunter auch Nützlinge wie Bienen oder Marienkäfer, unbeeinträchtigt bleiben. Möglich wird das durch präzise bioinformatische Analysen: Forscher vergleichen die Zielgene des Schädlings mit denen anderer Organismen und wählen nur solche RNA-Sequenzen aus, die einzigartig für die gewünschte Zielart sind.
Zusätzlich können moderne Softwaretools potenzielle „Off-Target“-Effekte in Nicht-Zielorganismen bereits im Vorfeld ausschließen. In späteren Zulassungsverfahren folgen dann weitergehende Sicherheitsprüfungen – auch auf Auswirkungen auf Wasserlebewesen oder Bestäuber.
Weitere Vorteile RNA-basierter Pflanzenschutzmittel:
- biologisch abbaubar
- keine toxischen Rückstände im Boden oder Wasser
- nicht auf klassische RNA-Interferenz beschränkt (neuer Wirkmechanismus)
- flexibel anpassbar durch die Nutzung gezielter Sequenzen
Was die vorgestellte RNA-Technologie von Gentechnik unterscheidet
Die RNA-Technologie ist keine Gentechnik. Während es bei der Gentechnik um dauerhafte Eingriffe ins Erbgut gehe, ziele die RNA-Technologie des Regensburger Teams auf zeitlich begrenzte Eingriffe in die Proteinsynthese ab. Die RNA-Technologie unterscheide sich damit grundlegend von Verfahren, bei denen das Erbgut von Pflanzen oder Tieren verändert werde, erklärt Timo Schlemmer. Die zentralen Unterschiede:
- Bei der RNA-Technologie des Regensburger Teams wird keine genetische Veränderung im Organismus vorgenommen.
- Sie wird von den Zielorganismen nach der Sprühapplikation aufgenommen, entfaltet dort gezielt ihre Wirkung (z. B. durch Blockade eines bestimmten Gens) – ohne das Erbgut zu verändern.
- Die eingesetzte zirkuläre RNA wirkt nur vorübergehend in Abhängigkeit der gesprühten Menge und der Stabilität der zirkulären RNA– vergleichbar mit einem zeitlich begrenzten Signal.
- Nach einiger Zeit wird die RNA vom Organismus selbst oder durch natürliche Prozesse in der Umwelt abgebaut.
- Die Pflanze bleibt genetisch unverändert, ebenso wie andere Lebewesen, die nicht auf den Wirkstoff reagieren.
Kurz: Weil keine Gene verändert werden, gilt die RNA-Technologie nicht als Gentechnik.
Vor allem aber ist sie biologisch abbaubar, rückstandsfrei und hochspezifisch – ein großer Fortschritt gegenüber chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln und gentechnischen Eingriffen. Dieser Unterschied macht die RNA-Wirkstoffe sehr sicher in der Verwendung, sind sich die Forschenden sicher. Eine wesentliche Voraussetzung für ihre geplante Nutzung.

Wie der Weg zur praktischen Anwendung aussehen könnte
Das Ziel des Regensburger Projekts ciRcNApp ist nicht nur der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit, sondern auch die technische und wirtschaftliche Umsetzbarkeit. Das Forschungsteam widmet sich deshalb folgenden Fragen:
- Wie lässt sich circRNA effizient und kostengünstig herstellen?
- Welche Produktionsverfahren eignen sich für den industriellen Maßstab?
- Wie wird der Wirkstoff für die Anwendung auf dem Feld formuliert?
Diese Fragen werden gemeinsam mit wissenschaftlichen Partnern bearbeitet. Langfristig ist auch die Gründung eines Start-ups geplant, um die Technologie aus der Universität heraus in die Praxis zu bringen – in enger Kooperation mit der Agrarwirtschaft.
Marktchancen und regulatorische Herausforderungen
Trotz wachsender Nachfrage nach nachhaltigen Pflanzenschutzmitteln gäbe es in Europa bislang keine spezifischen Zulassungsverfahren für RNA-basierte Produkte. Die kürzliche Zulassung eines ersten RNA-Wirkstoffs in den USA zeige jedoch, dass diese Technologie grundsätzlich marktfähig sei, so Florian Stokom. Jetzt brauche es auch in Europa passende Zulassungsverfahren – und eine offene Kommunikation über Chancen und Sicherheit.

Fazit: Eine vielversprechende Technologie für eine nachhaltige Landwirtschaft?
Die zirkuläre RNA verbindet Präzision, Umweltfreundlichkeit und Innovationskraft. Sie könnte in der Zukunft vielleicht helfen, den Einsatz chemisch-synthetischer Mittel drastisch zu reduzieren, Ernten zu sichern und gleichzeitig die Umweltbelastung zu minimieren. Das Projekt ciRcNApp der Universität Regensburg zeigt eindrucksvoll, wie moderne Molekularbiologie konkrete Lösungen für drängende Probleme in der Landwirtschaft bieten kann – und vielleicht den Pflanzenschutz der Zukunft grundlegend verändern wird.

Glossar
RNA (Ribonukleinsäure): Ein Molekül, das in allen lebenden Zellen vorkommt. Es enthält genetische Informationen, die der Zelle sagen, welche Proteine sie herstellen soll.
mRNA (messenger-RNA): Eine spezielle Form der RNA, die als „Botenstoff“ dient. Sie transportiert den Bauplan für ein Protein vom Zellkern zu den „Produktionsstätten“ der Zelle.
zirkuläre RNA (circRNA): Eine ringförmig geschlossene Variante der RNA. Durch ihre Form ist sie stabiler als normale RNA und eignet sich besonders gut für Anwendungen im Pflanzenschutz oder in der Medizin.
enzymatischer Abbau: Der natürliche Vorgang, bei dem Enzyme (körpereigene Moleküle) andere Stoffe wie RNA zersetzen. Das passiert besonders schnell bei empfindlicher RNA – circRNA ist dagegen widerstandsfähiger.
Antisense-RNA: Eine RNA, die gezielt an eine andere RNA andockt, um deren Funktion zu blockieren – z. B. damit ein Schädling ein bestimmtes Protein nicht mehr bilden kann.
kodierende RNA: Eine RNA, die den Bauplan für ein Protein enthält. Wenn sie in eine Zelle eingeschleust wird, produziert die Zelle dieses Protein selbst.
Bacillus thuringiensis: Ein Bakterium, dessen Proteine für Insekten giftig sind, aber für Menschen und viele andere Tiere ungefährlich. Es wird seit Langem in der biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt.
bioinformatische Analysen: Computergestützte Methoden, um biologische Daten (z. B. Gensequenzen) zu untersuchen. Sie helfen dabei, RNA-Moleküle exakt auf bestimmte Schädlinge abzustimmen.
Off-Target-Effekt: Ein unerwünschter Nebeneffekt, wenn ein Wirkstoff auch andere Organismen beeinflusst, die eigentlich nicht Ziel der Behandlung sind.
Zulassungsverfahren: Ein gesetzlich vorgeschriebenes Prüfverfahren, bevor ein Pflanzenschutzmittel auf den Markt kommen darf. Es soll sicherstellen, dass das Mittel wirksam und unbedenklich für Mensch, Tier und Umwelt ist.
RNA-Interferenz (RNAi): Ein natürlicher Mechanismus in Zellen, bei dem RNA genutzt wird, um gezielt bestimmte Gene „auszuschalten“. circRNA kann darüber hinaus auch andere Wirkmechanismen haben.
Kontakt
Dr. Timo Schlemmer
Plant RNA-Transport
Universität Regensburg
Tel: 0941 943 3021
Mail: circRNA@
uni-regensburg.de
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